Ich war völlig von den Socken - nzz.ch, 18.03.2017
Sergio Marchionne, umtriebiger Chef von Fiat Chrysler Automobiles (FCA) beharrt darauf, dass Fusionen in der Automobilbranche fürs Überleben unerlässlich sind. An VW hat er nur mässiges Interesse.
Als der FCA-Chef Sergio Marchionne sich zu seiner alljährlichen Fragestunde am Autosalon Genf stellte, war ihm bei seinem Lieblingsthema der Konzernfusionen bereits einer zuvorgekommen. Carlos Tavares, Chef von Peugeot-Citroën hatte gerade den Kauf des Herstellers Opel/Vauxhall bekanntgegeben, den die Franzosen von General Motors übernehmen.
Marchionne nimmt diese Entwicklung nicht als Niederlage in eigener Sache, sondern als positives Zeichen wahr: «Das ist ein Schritt in die richtige Richtung», sagte er in Genf. «Vielleicht nicht, was ich getan hätte, aber ich verstehe die Beweggründe. Die Zusammenarbeit ist langfristig angelegt. Mir ist aufgefallen, wie rasch Tavares in der Lage war, den Turn-Around zu schaffen. Er hat die anvisierten Ziele viel schneller als erwartet erreicht, und das ist sein Stil: Wenig versprechen, viel liefern».
Der Italo-Kanadier hält an seiner Meinung fest, dass es in Europa eine baldige Rationalisierung der Ressourcen brauche: «Ich habe dies bei meinem Besuch 2009 bei Kanzlerin Merkel bereits gesagt. Doch die Überkapazitäten sind auch acht Jahre später noch weitgehend vorhanden».
Ob der Opel-Verkauf an PSA als Ansporn für weitere Fusionen im Automobilsektor Wirkung zeigt? «Ich denke schon. Insbesondere, wenn Carlos Tavares Erfolg hat, was ich hoffe. Die Übernahme von Opel mag für PSA noch nicht ausreichen, um eine vernünftige Rationalisierung zu realisieren, aber es ist ein erster Schritt», sagte Marchionne und spielte darauf an, dass PSA ein Kaufangebot für den malaysischen Konzern DHB-Hicom abgegeben hat, zu dem die Marken Proton und Lotus gehören.
Marchionne glaubt jedoch nicht, dass der PSA-Opel-Deal bei General Motors nun die Tür für FCA öffnet. Stattdessen kritisiert er die von GM gelieferte Begründung für den Opel-Verkauf: «Mir ist aufgefallen, dass in der Präsentation von General Motors geopolitische Risiken in Europa als einer der Gründe für den Verkauf von Opel an PSA genannt wurden. Ich war vollkommen von den Socken. Ich habe ja schon diverse Beschreibungen Europas gehört, aber den Alten Kontinent als mit geopolitischen Risiken behaftet zu sehen, geht für einen multinationalen Konzern zu weit. Das wäre auch der falsche Grund, um Opel an PSA zu verkaufen. Es geht hier eher um Skaleneffekte. Ich selbst habe jedenfalls nicht mit GM über diesen Verkauf gesprochen, aber ich bleibe dabei: Eine Zusammenführung der Autohersteller ist absolut essentiell, es müssen Stückzahlen und Skaleneffekte erreicht werden. Sonst drohen enorme Margenverluste».
Über die weitere Zukunft von Opel unter neuem Dach mag Marchionne nicht spekulieren. Doch sieht auch er die Gefahr, dass es nach Ablauf der garantierten Beschäftigungsdauer für Opel-Angestellte zu Werksschliessungen und Entlassungen kommen könnte: «Tavares wird auf seinem Weg der Effizienzverbesserung auf Überkapazitäten in Europa stossen, und dann wird es solche Werksschliessungen leider geben müssen».
Auf den Druck, den der neue US-Präsident Trump auf die heimische Autoproduktion ausübt, angesprochen, wehrt Marchionne zunächst ab: «Ich will nicht auf politische Fragen im Zusammenhang mit den Qualitäten von Donald Trump eingehen. Aber ich wiederhole, was ich bereits nach meinem Treffen mit ihm gesagt hatte: Trump liegen die Interessen der USA am Herzen. Er sucht Lösungen für den Arbeitsmarkt, wie dies auch die Europäer tun. Nun sind die «Detroit Three» – das schliesst uns ein – gefordert, Massnahmen zu ergreifen, um die US-Produktion hochzufahren. Das ist allerdings ein langfristiger Prozess, und wir planen eine Umverteilung der Arbeit aus Mexiko nach Michigan. Man bedenke: Wir produzieren eine hohe Zahl an Pick-up-Fahrzeugen in Mexiko, deren Benzinverbrauch zu 99 Prozent auf US-amerikanischem Boden anfällt».
Den Verkauf einer Automarke aus dem FCA-Konzern weist Marchionne hingegen klar zurück: «Solange ich am Ruder bin, wird es nicht dazu kommen. Für mich geht es in erster Linie um die Erreichung der Ziele unseres 5-Jahresplans bis 2018. Dies soll die Erträge verbessern und FCA schuldenfrei machen. Fusionen allerdings sind immer ein Thema, auch in den nächsten zwölf Monaten».
Einen zweiten Anlauf bei General Motors schliesst der FCA-Chef nicht aus: «Die Tür zu GM war nie offen, aber ich werde gerne wieder dort anklopfen. Oder an andere Türen. Ohne zu zögern – wenn es Sinn ergibt». Jedoch hat GM als Fusionspartner für Marchionne etwas an Reiz verloren: «General Motors bleibt als Partner attraktiv, wenngleich nach dem Opel-Verkauf etwas weniger als auch schon. Denn einer der Gründe für eine Fusion wäre für FCA die gemeinsame Nutzung von Ressourcen in Europa – über die GM nun nicht mehr verfügt. Dadurch gehen rund 15 bis 20 Prozent des Synergiepotenzials verloren. Dennoch gibt es noch genügend Gründe für ein Zusammengehen».
Einer der relativ neuen Hersteller aus China kommt für Marchionne als Fusionspartner hingegen nicht in Frage. «Einer der Vorteile einer Fusion wäre die Senkung der gemeinsamen Kosten. Dazu braucht es aber überlappende Geschäftsfelder. Wenn man sich bloss ergänzt, erreicht man solche Spareffekte nicht kurzfristig. Auf lange Sicht kann eine solche Zusammenarbeit Sinn machen, aber nicht auf fünf Jahre hinaus».
Volkswagen erscheint bei Marchionnes Überlegungen immer wieder als möglicher Partner, und selbst VW-Chef Matthias Müller will sich Gesprächen mit FCA nicht grundsätzlich verschliessen, wie er am Rande der Bilanz-Medienkonferenz Anfang der Woche bestätigte. Doch nun hat Sergio Marchionne laut eigener Aussage «Null Interesse» an einem Zusammengehen mit der Volkswagen-Gruppe. «Ich habe nur festgehalten, dass man sich als führender Autohersteller in Europa Gedanken machen müsse, wenn ein Konkurrent durch eine Fusion plötzlich zur Nummer 2 aufsteigt und der Abstand geringer wird», sagte Marchionne im Nachgang zu seiner Medienkonferenz. «Die logische Reaktion wäre ein Vergrössern des Vorsprungs. «Ich mache mir kaum Sorgen um die Zukunft von VW, ob mit oder ohne Marchionne».