Ich, einfach unsterblich - faz.de, 30.06.2015
Alfa Romeo ist ein Schatten seiner selbst. Nach 28 Jahren Anlauf soll es endlich gelingen, BMW & Co. in die Parade zu fahren. Dafür hat die neue Giulia schon mal 510 Pferde gesattelt.
In der Defensive kann Angriff eine gute Taktik sein. Ob die von Alfa Romeo Befreiung oder Blamage wird, darauf achten Konkurrenz und die schier unverwüstliche Fangemeinde seit dieser Woche mit frisch geweckter Aufmerksamkeit. Die Italiener schieben die neue Giulia ins Rampenlicht, eine Sportlimousine vom Format des 3er BMW, und sie sparen dabei nicht an markigen Worten. Alles, mit Ausnahme der Marke, sei neu erfunden worden. Ein Paradigmenwechsel sei eingeläutet, es sei Zeit für radikale Lösungen.
Leidenschaft und Identität seien wichtige Auswahlkriterien, doch die automobile Landschaft werde immer gleichförmiger. Kalte, technokratische Produkte werfe die Industrie auf die Straße, sicher und komfortabel, gewiss, aber emotionslos. Autos von heute seien Zellen, die ihre Fahrer von der Welt abkapselten, wenn man so will Haushaltsgeräte auf Rädern. „Was müssen wir fühlen, um wieder zu fahren?“, fragt Markenchef Harald Wester und hat die Antwort sogleich parat. Nun ja, so gleich nun auch wieder nicht.
Der erste Alfa wurde zwar 1910 gebaut, doch das ist eben Geschichte. Erfolge liegen weit zurück. Seit 28 Jahren versucht sich Fiat mit der Marke, und nicht wenigen ist es ein Rätsel, wieso trotz aller Anstrengungen, die mindestens den Tatbestand unterlassener Hilfeleistung erfüllen, der Mythos noch immer glüht. Das letzte neue Modell hat Alfa vor fünf Jahren herausgebracht. In Deutschland ist die Kundschaft mittlerweile handverlesen.
Jetzt aber hat der Mutterkonzern endlich eine zündende Idee: Acht neue Modelle, angefangen vom homöopathisch dosierten Flitzer 4C über die Giulia bis hin zu SUV und Spider sind im Anflug, acht an der Zahl bis 2018. Der Nukleus, der Beginn des Reanimationsprozesses, soll die viertürige Giulia sein. Alfa gibt ihr Hinterrad- oder Allradantrieb auf den Weg, was der Fahrdynamik und Lenkpräzision zuträglich sein dürfte. Die von Ferrari entwickelten, längs eingebauten Motoren sind aus Aluminium und sollen mächtig Dampf machen.
Über die Leistungsbreite schweigt sich Alfa beharrlich aus, aber zum Schnuppertag griffen die Italiener direkt tief ins Regal. Der vorgeführte V6-Turbobenziner leistet 510 PS, womit die rund 1,5 Tonnen schwere Giulia in 3,9 Sekunden auf 100 km/h katapultiert wird. Zur Höchstgeschwindigkeit wird ebenso noch nichts gesagt, der Tacho jedenfalls hört erst jenseits der 300-km/h-Marke auf. Selbstverständlich wird es später zurückhaltendere Aggregate von Otto und Diesel geben, aber die werden kaum so gut klingen: Eine kurze Hörprobe war nicht weniger als ein Hochgenuss. Nette Anleihen aus dem Rennsport wie das vierfach verstellbare Ansprechverhalten oder der rote Startknopf im Lenkrad werden die Freude kaum trüben.
Mit dem Design verhält es sich differenzierter, es wirkt auf den zweiten Blick besser als auf den ersten und in natura erfreulicher als auf Fotos. Die Giulia balanciert auf einem Grat der Zitate, die in der eigenen Historie liegen, am ausgestellten Heck aber an irgendwas asiatisches oder, im besseren Fall, an Maserati erinnern, die Seite entlang BMW aufnehmen und einen Hauch Jaguar in sich tragen.
Der Grill ist natürlich unverkennbar, und wer vor dem Auto in die Knie geht, spürt sein Herz pochen. Vielleicht hätten die Scheinwerfer schärfer sein dürfen. Am besten gefällt uns die Ansicht von schräg vorn, weiter hinten zieht etwas Beliebigkeit auf, obgleich der Diffusor um die vier Endrohre natürlich eine Wucht ist. Innen richtet Alfa nach guter Art des Hauses ein, orientiert die Instrumente Richtung Fahrer, der Schaltknüppel ist kurz und knackig, zur Steuerung der Peripherie ist ein Drehsteller zuständig.
Welche Assistenten an Bord sind, bleibt noch Betriebsgeheimnis. Sicher darf man bei der italienischen Leidenschaft für Handys sein, dass sich angemessen parlieren lassen wird. Einstiegspreis und Markteinführung? Natürlich noch offen, wer 30 000 Euro und Anfang 2016 tippt, sollte nicht allzu falsch liegen. Ob ein Kombi folgt? Achselzucken bei den Verantwortlichen, die vor allem Nordamerika im Blick haben. Kombis laufen nur in Europa, da allerdings richtig.
Fusion führte zu neuem Nachdenken
Was Konzernchef Sergio Marchionne jetzt schon unverblümt sagt: Ohne seinen ebenso waghalsigen wie geschickten Ausflug nach Amerika wäre es mit Alfa aus gewesen. „Ohne den Zusammenschluss mit Chrysler und Jeep hätten wir niemals die Mittel gehabt, die neue Giulia zu bauen.“
Die Unternehmensgruppe Fiat, die Alfa Romeo seinerzeit aus Staatsbesitz gekauft hatte, gibt es dabei selbst nicht mehr, sie ist gerade nach der Fusion mit Chrysler im vereinten Konzern FCA aufgegangen. Doch diese Fusion war es schließlich, die zu neuem Nachdenken führte. Alfa Romeo soll nun neben Jeep zur Edelmarke des Konzerns werden. Der von Marchionne abermals bekräftigte Plan verspricht, dass im Jahr 2018 schon 400 000 Alfa Romeo verkauft werden, nachdem im vergangenen gerade mal 68 000 Autos Kunden fanden. Inzwischen scheint es eigentlich schon zu spät, um die hochfliegenden Ziele zu erreichen. Doch versprochen ist auf jeden Fall der Neuanfang, der Alfa Romeo jahrzehntelang verwehrt blieb.
Die Autofirma war 1910 gegründet worden
In den 105 Jahren der Geschichte der Marke kam es allerdings öfter vor, dass dem guten Klang des Namens eine fehlerhafte Strategie gegenüberstand. Die Autofirma war 1910 gegründet worden unter dem Namen A.L.F.A., einer Abkürzung für einen Allerweltsnamen, der nichts anderes besagte als Lombardische Automobilfabrik AG. Fünf Jahre später kam noch der zweite Begriff Romeo zur Marke, weil während des Ersten Weltkriegs ein Ingenieur namens Nicola Romeo den kleinen Autohersteller übernommen hatte und 1919 seinen Nachnamen ins Firmenlogo einfügte.
Schnell machte sich Alfa und dann Alfa Romeo einen Namen in einer Zeit, als es viele kleine Autohersteller gab, die nur einen Weg hatten, auf sich aufmerksam zu machen - mit Erfolgen bei den vielen Autorennen der Epoche. Zu den Siegestrophäen gehörten diejenigen der sizilianischen Targa Florio von 1923 sowie der Jahre von 1930 bis 1935, zehn Titel der Mille Miglia in den Jahren bis 1938, die ersten zwei Titel nach Einführung von Europameisterschaften für Rennautos 1931, schließlich die ersten Weltmeistertitel der Formel 1, die 1950 startete.
Die geschäftliche Entwicklung des Unternehmens war weniger glücklich. Schon während der zwanziger Jahre kam die Firma unter staatliche Verwaltung, wurde aber angeblich vom Diktator Benito Mussolini eben wegen ihrer sportlichen Erfolge erhalten und schließlich in der Wirtschaftskrise 1933 in den Staatskonzern Iri eingegliedert.
Giulia prägte nicht nur die italienischen Polizeifilme
Nach dem schnellen Abschied von der Formel 1 entstanden Autos für den Alltag, die Aufsehen erregten und über lange Zeit in Erinnerung blieben, wie der im Hause Bertone gezeichnete bildschöne Sportwagen Giulietta Sprint aus den fünfziger Jahren. Die Sportlimousine Giulia aus den Sechzigern prägte nicht nur die italienischen Polizeifilme, sie war anfangs stärker motorisiert als die Porsche ihrer Zeit. Der zweitürige offene Spider wurde schließlich berühmt mit Dustin Hoffman im amerikanischen Film The Graduate. Die aufwendige Technik und der schöne Schein hatten aber auch ihre Schattenseiten. Denn mit den Modellen von Alfa Romeo waren nicht nur Emotionen verbunden, sondern auch der Ruf von Unzuverlässigkeit und von Rost ab Werk.