"Lasst den Markt sprechen" - Chrysler strebt aufs Parkett - ntv.de, 24.09.2013
Chrysler hat den ersten Schritt zurück an die Börse getan - obwohl dies eigentlich niemand will. Denn im Übernahmepoker um die restlichen Chrysler-Anteile interessiert Fiat, wie hoch der wahre Wert des US-Autobauers ist. Bei einer Übernahme entstünde der siebtgrößte Produzent.
Mehr als vier Jahre nach der Insolvenz plant der US-Autobauer Chrysler die Rückkehr an die Börse. Fiat besitzt zurzeit 58,5 Prozent an Chrysler und will auch die restlichen Anteile am Unternehmen kaufen, die noch im Besitz eines amerikanischen Autogewerkschaftsfonds sind. Bei einem geplanten Börsengang würden diese Aktien am freien Markt verkauft werden.
In einem Schreiben von Chrysler an die US-Börsenaufsicht SEC hieß es, dass die Nettoerlöse aus dem Börsengang der Fonds der United Auto Workers erhalten soll. In den Unterlagen versucht Chrysler auch, dem Konzern einen angemessenen Marktwert zuzuschreiben: Ende vergangenen Jahres zahlte Chrysler seinen Vorständen Aktienvermögen im Wert von neun US-Dollar je Anteilsschein. Auf dieser Basis würde der Gesamtkonzern an der Börse rund 8,8 Milliarden Dollar wert sein. Die Investmentbank JP Morgan Chase soll alleiniger Konsortialführer des Börsengangs sein.
Festgefahrene Verhandlungen
Hintergrund des Schritts sind festgefahrene Verhandlungen zwischen Fiat und dem Gesundheitsfonds der US-Autogewerkschaft UAW. Fiat will dessen 41,5 Prozent der Anteile übernehmen, um Chrysler ganz alleine kontrollieren zu können. Durch eine Fusion von Fiat und Chrysler würde der siebtgrößte Autohersteller der Welt entstehen. Doch die beiden Seiten werden sich beim Preis nicht einig.
Der Börsengang ist eine Möglichkeit, um aus dem Dilemma herauszukommen: Entweder werden Anteile des Gesundheitsfonds tatsächlich über die Börse verkauft und Fiat kann sie dort über kurz oder lang zum Marktpreis erwerben. Denkbar ist aber auch, dass die anstehenden Gespräche mit außenstehenden Investoren letztlich nur dazu dienen, ein Gefühl für den wahren Wert von Chrysler zu bekommen und dass es am Ende doch noch zu einer Einigung kommt.
Chrysler kaum noch verzichtbar
Fiats Vorstandschef Sergio Marchionne hatte bereits angekündigt, die Vorbereitungen für den Börsengang laufen zu lassen. "Lasst den Markt sprechen", hatte er jüngst in einem Interview gesagt. Während die Italiener ihre US-Tochter mit 4,2 Milliarden Dollar bewerten, sieht die Gewerkschaft das Unternehmen bei 10,3 Milliarden Dollar (7,7 Milliarden Euro).
Wie groß die Differenzen über die künftige Eigentümerstruktur sind, geht aus dem Entwurfsdokument an die Börsenaufsicht hervor. Darin werden die Risiken deutlich hervorgehoben, die sich für Chrysler ergeben würden, sollte sich Fiat wegen des Börsengangs stärker von Chrysler distanzieren. "Fiat hat deutlich gemacht, dass eine öffentlich gehandelte Chrysler Group seiner Ansicht nach die volle Verwirklichung der Vorzüge der Fiat-Chrysler-Allianz verhindern oder verzögern werde", heißt es in den Börsenanträgen. Weiter warnt der Konzern davor, dass eine Verschlechterung der Geschäftsbeziehung mit Fiat einen "erheblichen gegenteiligen Effekt auf unsere Geschäftsaussichten, Finanzlage und Betriebsergebnisse" haben könnte.
Fiat teile Technologie, Fahrzeugdesigns, Einrichtungen und Manager mit Chrysler und würde diese Übereinkünfte im Zweifelsfall auf den Prüfstand stellen, heißt es weiter. Fiat untersuche "die verschiedenen möglichen Auswirkungen, die ein Börsengang und die nachfolgende Einführung öffentlicher Aktionäre auf seine Ansichten über die Fiat-Chrysler-Allianz haben könnte". Fiat überlege auch, ob das Unternehmen die derzeitige Beziehung über ihre Vertragspflichten hinaus weiter ausdehnen soll oder nicht.
US-Autobranche im Aufwind
Dass Chrysler seine Börsenpläne trotzdem vorantreibt, passt zum derzeitigen Auftrieb in der US-Autobranche. Weil die Zinsen niedrig sind und langsam, aber stetig wieder mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, ersetzen Amerikaner wieder verstärkt ihre abgenutzten Autos und Lastwagen durch Neufahrzeuge. Zwei Jahre in Folge hat Chrysler nun schon Gewinne für das Gesamtgeschäftsjahr vorgelegt. Die gute Ertragslage hat auch Fiat gestärkt, der unter der anhaltend schwachen Geschäftslage in Europa leidet.
Chryslers Umsatz in den ersten sechs Monaten des Jahres lag bei insgesamt 33,4 Milliarden Dollar - weniger als ein Prozent mehr als im Vorjahr. Der Nettogewinn belief sich auf 673 Millionen Dollar - gut ein Viertel weniger als im Vorjahr.
Auch andere große US-Autobauer scheinen sich von der Krise zu erholen. So sind die Aktienkurse von General Motors und Ford im vergangenen Jahr fast durchgehend gestiegen. Im bisherigen Jahresverlauf haben sie sich im Vergleich zu den allgemeinen Börsenkursen überdurchschnittlich gut entwickelt. Autokonzern GM, der ebenfalls einst pleite war, ist Ende 2010 an die Börse zurückgekehrt.