Der stille Tod von Lancia - handelsblatt.de, 01.11.2012
Eine Legende wird beerdigt. Weil die italienische Traditionsmarke Lancia die Erwartungen des Mutterkonzerns nicht erfüllen kann, wird die Produktion nun massiv gekürzt. Konzernchef Marchionne hat bereits neue Pläne.
Die Todesanzeige einer Traditionsmarke verbirgt sich auf Seite 10 des Fiat-Analystenberichtes zu den aktuellen Quartalszahlen. Unter dem Punkt "Reduce/curtail Lancia exposure" verkündet der italienische Autobauer nüchtern das Aus der italienischen Automarke Lancia. Die Produktion solle schrittweise reduziert werden, steht dort. Künftig werde nur noch das Modell Ypsilon gefertigt - in Polen. "Wir dürfen uns nicht mehr der Illusion hingeben, dass wir Lancias historisches Image wieder aufbauen können", erklärte Fiat-Chef Sergio Marchionne. Es ist das unrühmlich Ende einer über 100-jährigen Geschichte von Lancia in Italien.
Eine Geschichte, die 1906 begann und deren goldene Momente weit in den 60er-Jahren liegen. Mit den Modellen "Flaminia", "Flavia" und "Fulvia" galt Lancia als Inbegriff der italienischen Eleganz. Mit dem Sportwagen Stratos HF schrieben die Italiener ab 1978 Rallyegeschichte, gewannen mehrfach die Rallye Monte Carlo. Von der ruhmreichen Geschichte ist heute allerdings nicht mehr viel geblieben. Zuletzt hatte Fiat versucht, Lancia durch eine Kooperation mit Chrysler wiederzubeleben. Die italo-amerikanische Zusammenarbeit brachte unter anderem die Modelle Flavia und Delta hervor, die allerdings in der Gunst der Kunden nicht sonderlich hoch im Kurs standen. Zu offensichtlich war die die Umetikettierung des amerikanischen Autodesigns.
Statt auf den verblassten Glanz von Lancia will sich Fiat darum künftig auf seine Nobelmodelle von Alfa Romeo, Jeep und Maserati konzentrieren. In Modena soll ab dem kommenden Jahr auch der Alfa 4C produziert werden, im Werk Gruliasco bei Turin wollen die Italiener zwei Maserati-Modelle fertigen. Ein neuer Geländewagen ist ebenfalls in Planung.
Für Marchionne ist die neue Premiumstrategie alternativlos, denn im Volumengeschäft fährt Fiat seit Monaten Millionenverluste ein. Innerhalb von drei Monaten sind die Schulden von Fiat von 1,3 auf 6,7 Milliarden Euro angewachsen. Erst für 2016 gehen die Italiener davon aus, den Break Even Point in Europa zu erreichen. Im dritten Quartal führ die Fiat-Gruppe zwar einen Gewinn von 286 Millionen Euro ein, doch das ist vor allem dem guten Ergebnis der US-Tochter Chrysler zu verdanken.
Investitionsplan wird eingestampft
Die Amerikaner hatten ihren Gewinn im abgelaufenen Quartal zuletzt auf 381 Millionen Dollar verdoppelt. Die Zahl der verkauften Autos konnte in den USA um 12 Prozent auf 566.000 Autos gesteigert werden. In Europa sieht die Lage fundamental anders aus. Fiat allein kommt auf einen Verlust von 281 Millionen Euro. Statt den versprochenen 51 Modellen fertigt Fiat in Italien nur 17.
Trotzdem will Marchionne vorerst keine Werke in der Heimat des Konzerns schließen. Der 20-Milliarden-Euro-schwere Investitionsplan "Fabbrica Italia" soll allerdings eingestampft werden. Um die deutlich unterdurchschnittliche Auslastung von 45 Prozent zu steigern, sollen die italienischen Werke künftig stärker für den Export produzieren.
Der Fokus liegt dabei vor allem auf dem Fiat 500 und dem Panda. Bis 2015 wird eine volle Auslastung angestrebt. Das Wachstum dürfte sich durch den Tod von Lancia allerdings deutlich langsamer vollziehen als bisher prognostiziert. Für 2013 rechnet Fiat nur noch mit 4,3 bis 4,5 Millionen verkauften Fahrzeugen. 2014 sollen es zwischen 4,6 bis 4,8 Millionen sein. Von den Sechs-Millionen-Marke, die Marchionne einst als überlebenswichtig ausgegeben hatte, wären der italienische Autobauer damit weit entfernt.