Händler und VW bezichtigen Dudenhöffer der Lüge - zeit.de, 01.11.2012
Autohändler haben einen Schuldigen für die Absatzkrise ausgemacht: Autoprofessor Dudenhöffer. Der Wutbrief lenkt von den tatsächlichen Ursachen ab.
Dem Überbringer schlechter Nachrichten wird gelegentlich für eben diese Nachrichten die Schuld gegeben – auch wenn er selten etwas dafür kann. Jetzt hat es Ferdinand Dudenhöffer erwischt, den langjährigen Professor für Automobilwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen.
Zweifelsohne ist Dudenhöffer kein Unbekannter. Er leitet an der Uni das Center Automotive Research (CAR). Es berechnet regelmäßig die Rabatte, die Autohersteller und Händler den Autokäufern einräumen. Diese Studien werden gern in Medien zitiert – die neue Ausgabe der AutoBild, die am Freitag erscheint, schreibt etwa, für den neuen Golf VII seien aktuell bis zu 22 Prozent Rabatt drin. Die Preisnachlässe waren laut CAR in den letzten Wochen auf zunehmend hohem Niveau. Für Dudenhöffer ist das ein klares Zeichen für die wachsende Krise der Autobranche.
Sie ist inzwischen auch in Deutschland angekommen. Im September lag die Zahl der Neuzulassungen elf Prozent unter dem Wert des Vorjahresmonats. Um bei fallender Nachfrage die Absatzzahlen dennoch stabil zu halten, müssten Hersteller den Kunden beim Preis gewaltig entgegen kommen – und das tun sie auch, sagt Dudenhöffer.
Scharfe Töne schlagen jetzt Dudenhöffers Kritiker an – offenbar hat der Autofachmann den Finger in die Wunde gelegt. Burkhard Weller, Chef der gleichnamigen Autohauskette, ist nicht zimperlich: In einem offenen Brief bezichtigt er Dudenhöffer "Unwahrheiten" zu verbreiten und so die Branche "massiv" zu schädigen.
Dudenhöffer: VW ist "scheinheilig"
Dudenhöffers Berichterstattung würde die Verbraucher täuschen, so Weller. Die Interessenten tauchten mit entsprechenden Erwartungen über Rabatte beim Autohändler auf und würden dort "völlig enttäuscht". Im schlimmsten Fall würden sie gar den Kauf eines Neuwagens verschieben. Wellers Klage gipfelt in der Aussage, dass Dudenhöffer gar "volkswirtschaftlichen Schaden" anrichte.
Unterstützung erhält Weller von prominenter Seite: Volkswagen begrüßt Wellers Brief offen und schließt sich der Kritik "voll und ganz" an. Kein Wunder, schließlich richtet sich Wellers Angriff vor allem gegen Dudenhöffers Behauptung, es habe schon kräftige Nachlässe von bis zu 27,5 Prozent auf den neuen Golf VII gegeben. Der kann bislang nur vorbestellt werden – die Auslieferung beginnt erst am 10. November. Die hohen Preisabschläge könnten ein Zeichen dafür sein, dass das Interesse nach dem neuen Wagen weniger groß ist als von VW erhofft. Doch Hersteller und Weller bestreiten die Rabatte in dieser Höhe.
Dudenhöffer weist die Vorwürfe zurück: "Nachweislich wurde der VW Golf VII bei Internetvermittlern bis zum 26. September mit Prämien bis zu 27,5% Rabatt angeboten", schreibt der Universitätsprofessor und führt als Beleg Werbetexte mehrerer solcher Vermittler an. Für die Analyse der Rabattsituation im deutschen Automarkt werte sein Institut jeden Monat mehrere Tausend Datensätze aus, erklärt er. Es liefere "ein wissenschaftlich fundiertes, objektiv überprüfbares Incentive-Bild über den deutschen Automarkt".
Sicherlich kann man Dudenhöffer vorhalten, dass er teilweise von Maximalrabatten spricht, für die der Kunde bestimmte Bedingungen erfüllen muss. Doch darauf habe er in den Studien hingewiesen, sagt Dudenhöffer. Er wirft VW "Scheinheiligkeit" vor: "Offensichtlich will derjenige, der den Rabattwettbewerb mit hohen Händlerprämien anschürt, sich bei demjenigen darüber beklagen, der dieses Verhalten mit objektiv nachzuvollziehenden Marktdaten wissenschaftlich analysiert."
An der Schlammschlacht sind zwei Dinge bemerkenswert. Zum einen die Heftigkeit des Tonfalls von Weller und VW. Die Händler und der Hersteller sind in der Absatzkrise dünnhäutig geworden, in der Branche liegen die Nerven offenkundig blank.
Dabei – und das ist der zweite interessante Aspekt – verlieren einige Autohändler offenbar die relevanten Zusammenhänge etwas aus dem Blick. Burkhard Weller erhält für seinen offenen Brief an den Auto-Professor viel Zustimmung von Händlern: "Endlich sagt mal jemand dem Dudenhöffer die Meinung", heißt es vielfach in Internetforen und auf Blogs.
Die Autohändler mit aufwändigem und teurem Verkaufsraum stehen unter einem enormen Druck – für den aber eben Dudenhöffer nichts kann. Die Händler im Netz können größere Rabatte gewähren, weil sie zu geringeren Kosten arbeiten. Zudem informieren sich heutzutage die meisten Käufer vorab im Internet über die Preissituation.
Die Verkäufer, die Autohändler Weller für seine Philippika gegen Dudenhöffer applaudieren, ignorieren aber vor allem den Hauptgrund der Misere: Es sind die übertrieben hohen Listenpreise für Autos in Deutschland. Dazu kommt eine immense Überproduktion.
Die hohen Listenpreise – bekannt auch als "unverbindliche Preisempfehlung" (UPE) – legen die Hersteller fest. Damit die Händler die vielen Neuwagen in einem gesättigten Markt aber überhaupt losschlagen können, bieten die Autobauer ihnen zugleich kräftige Zuschüsse zu jedem verkauften Exemplar oder Siegerprämien an. Die größten Boni erhalten Händler, die viele Neuwagen verkaufen.
Marchionne: VW richtet "Blutbad" an
Inwiefern das auch bei VW der Fall ist, ist umstritten. VW bestreitet, Rabatttreiber zu sein. "Das sind Lockangebote einiger weniger Händler im Internet", sagte Vertriebsvorstand Christian Klingler unlängst im Handelsblatt. Schon früher hatte VW erklärt, dass die Händler Einzelunternehmer seien und eigene Entscheidungen über ihre Angebote träfen.
Richtig ist, dass die Händler selbstständig handeln, auch wenn sie über Verträge eng an die Hersteller gebunden sind. Dennoch sieht Dudenhöffer klare Zeichen dafür, dass VW mit großzügigen Prämien nachhilft – die Händler selbst hätten bei ihren normalen Margen gar nicht den Spielraum für so große Nachlässe. Branchenweit liegt die Umsatzrendite bei nicht einmal zwei Prozent. Nur "ein großes Prämienprogramm von VW an die Händler" mache solche Rabatte möglich. Als Beispiel nennt der Professor "eine Art Auftragsgewinnungsprämie" von VW im September. Solche Prämien können die Händler als Rabatt an den Kunden weitergeben.
Bereits im Sommer hatte auch Fiat-Chef Sergio Marchionne Volkswagen vorgeworfen, der Konzern versuche mit aggressiven Preisnachlässen in der Krise seinen Marktanteil auszubauen. Marchionne sprach dabei von einem "Blutbad". Das trifft aber nicht nur die VW-Konkurrenz, sondern am Ende auch viele freie Händler. Kein Wunder daher, dass sich VW der Kritik von Weller anschließt. Schließlich hilft dessen Brief, die Aufmerksamkeit verärgerter Händler von VW wegzulenken.