Sergio Marchionne - Der Puzzlemeister - ftd.de, 24.05.2012
Der Fiat-Chef hat den kleinen Autokonzern durch die Fusion mit Chrysler vor dem Untergang gerettet. Doch das reicht nicht. Nun holt er auch noch Mazda dazu.
Italienischen Kabarettisten bietet Sergio Marchionne reichlich Steilvorlagen. Richtig eingeschossen auf den Fiat-Chef hat sich Maurizio Crozza. Wenn er in die Rolle des Topmanagers schlüpft, trägt er natürlich den typischen Pulli und Brille.
In einem Kauderwelsch aus Italienisch und Englisch offenbart er als Marchionne dann erstaunliche Wissenslücken. "Aus welchen Teilen besteht ein Auto?", lässt er sich von seinem Interviewpartner fragen. Crozza alias Marchionne antwortet: "Wollen Sie mich testen? Darauf bin ich nicht vorbereitet." Die Botschaft lautet: Marchionne führt zwar den größten Autobauer des Landes, hält aber eine Nockenwelle für einen Haarschnitt aus den 70er-Jahren.
Mag Marchionne auch kein "Car-Guy" wie VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch sein, so versteht der gelernte Rechtsanwalt und Wirtschaftsprüfer doch ganz genau, auf was es in der Bolidenwelt heutzutage ankommt: Größe. Bis 2014 will der Italokanadier sechs Millionen Autos produzieren. Dazu fusionierte er Fiat mit dem US-Hersteller Chrysler. Schon lange sucht er nach weiteren Allianzpartnern. Bei Opel blitzte er ab.
Nun kommt ein weiteres Puzzlestück hinzu: Zusammen mit dem japanischen Autobauer Mazda will er einen Sportwagen auf der Basis des neuen Mazda MX-5 bauen. Die Fiat-Tochter Alfa Romeo und Mazda wollen zwei unterschiedliche Varianten eines Roadsters mit ihren jeweils eigenen Motoren entwickeln. Beide Fahrzeugtypen sollen im Hiroshima-Werk von Mazda gebaut werden.
Nur wenige hatten ihm die Fiat-Rettung zugetraut
Seit acht Jahren steht Marchionne an der Spitze von Fiat. Dem bald 60-jährigen Manager, der sich seine Lorbeeren unter anderem bei der Warenprüfgesellschaft SGS erwarb, gelang das, was viele schon für unmöglich gehalten hatten: den italienischen Autobauer vor dem Untergang zu retten. Es war und ist ein Spiel gegen die Zeit.
Das entscheidende Treffen, das den Weg zur Fusion mit Chrysler ebnete, fand im September 2008 am Ferrari-Sitz in Maranello statt. Die Stimmung ist düster: Die US-Investmentbank Lehman Brothers ist gerade kollabiert, das Finanzsystem steht vor der Kernschmelze. "Wir müssen unsere Allianzstrategie grundlegend überdenken. Wir haben all das, was wir allein tun können, getan. Wir brauchen einen Partner", zitiert ihn Jennifer Clark in ihrem Buch "Mondo Agnelli".
58,5 Prozent hält Fiat inzwischen an Chrysler. Woran Daimler unter der Führung von Jürgen Schrempp scheiterte, scheint Marchionne zu gelingen. Ein entscheidender Schlüssel des Erfolgs ist der rigorose Technologietransfer. Tabus gibt es für Marchionne nicht. Selbst italienische Luxuskarossen bleiben davon nicht verschont. Bester Beleg ist der neue Maserati Kubang. Das SUV basiert auf dem Jeep Grand Cherokee von Chrysler. Italienische Designexzellenz trifft auf den "All American Charme" von Jeep.
Doch Marchionne weiß, dass er es mit Chrysler allein nicht schaffen wird. Der italienische Heimatmarkt bricht ein, die Absatzzahlen befinden sich auf dem Stand der 80er-Jahre. Die Kooperation mit Mazda soll nun die Marke Alfa Romeo wiederbeleben, die stark unter der verfehlten Modellpolitik der letzten Jahrzehnte leidet.
Mit den Japanern könnte, so wird gemunkelt, der Duetto Spider auferstehen. Zu dem Flitzer hat Marchionne eine persönliche Beziehung. Den Alfa-Sportwagen fährt Benjamin Braddock, gespielt von Dustin Hoffman, in dem Film "Die Reifeprüfung" aus dem Jahr 1967. Marchionne erzählte vergangenes Jahr, wie der Hollywood-Streifen sein Leben verändert habe. Damals sei er mit seiner Familie aus den Abruzzen nach Toronto ausgewandert. "Die Reifeprüfung" habe er als "junger Idiot" gesehen. Vielleicht empfinden die Amerikaner ja die gleiche Nostalgie wie er.