Dick und durstig -spiegel.de, 01.11.2011
Größer geht es auf unseren Straßen kaum noch: Lancias neuer Van Voyager bietet sehr viel Raum, was vor allem Familien freuen dürfte. Leider hat der Gigant auch einen gewaltigen Spritbedarf.
"Einen Minivan kauft man nicht, weil man will, sondern weil man muss", sagt der Chef von Chrysler und Lancia, Saad Chehab. Ein solches Auto markiere jene Lebensphase, in der Männer ihren Traum vom Sportwagen zugunsten der Familie vorübergehend begraben, erklärt der dreifache Vater. In diesen Jahren, wenn die Kinder klein, das Gepäckaufkommen dafür umso größer ist, werden Großraumlimousinen interessant. Zu dieser Pkw-Spezies gehört auch der Lancia Voyager, der jetzt gründlich überarbeitet wurde.
In den USA gilt der 5,18 Meter lange Wagen als Archetyp aller Minivans und gehört wie eh und je zu den meistverkauften Fahrzeugen des Segments. Und auch überall sonst auf dem Globus steht das Auto bei Familien mit zwei oder mehr Kindern hoch im Kurs. "Weltweit haben wir mit diesem Konzept schon 13 Millionen Familien in Fahrt gebracht", sagt Chehab. Das waren jedoch allesamt Modelle vom Typ Chrysler Voyager, doch Chrysler gibt es in Europa nicht mehr.
Das Auto aber schon, es heißt jetzt Lancia Voyager und kommt ab dem 12. November auf die Straßen des alten Kontinents. Damit tritt der in den USA entwickelte, in einer Fabrik in Kanada gebaute und in der Fiat-Konzernzentrale in Turin verantwortete Van zugleich die Nachfolge des Lancia-Modells Phedra an, das noch aus der Kooperation von Fiat mit den PSA-Marken Citroën und Peugeot stammt und dessen Produktion 2008 eingestellt wurde.
Wer dafür mindestens 39.990 Euro ausgibt, bekommt mit dem Lancia Voyager einen Raumriesen, den Chehab gern mit einem Schweizer Offiziersmesser vergleicht. Denn wie das Universalwerkzeug für die Hosentasche sei auch der Voyager für fast alle Aufgaben gerüstet: In drei Sitzreihen bietet er sieben Plätze, von denen auch die beiden hinteren noch durchaus bequem sind. Und er glänzt mit dem pfiffigen Klappsystem Stow'n'Go, mit dem sich beide Fondsitzreihen mit ein paar Handgriffen vollständig im Wagenboden versenken lassen. Anders als bei europäischen Modellen wie dem Mercedes Viano oder dem Opel Zafira muss dafür weder etwas ausgebaut, noch eine zweite Ebene im Heck in Kauf genommen werden. Stattdessen entsteht ein Stauraum, so flach und leer wie der eines Lieferwagens - und ähnlich geräumig. Schluckt der Voyager schon bei voller Bestuhlung noch 934 Liter Zuladung, bietet er als Zweisitzer fast vier Kubikmeter.
Viele Ablagen und noch mehr Elektromotoren
Dazu gibt's am Boden, in den Flanken und am Dach jede Menge praktischer Ablagen für Kleinkram aller Art, zahlreiche Getränkehalter und eine Ausstattung, die manchen Käufer einer Luxuslimousine neidisch machen dürfte: Jeden Handgriff vom Öffnen der Schiebetüren oder der Heckklappe bis zum Verstellen des Lenkrads und sogar der Pedale übernehmen Elektromotoren; die Sitze sind vorn und hinten beheizt, die Klimaautomatik arbeitet in drei Zonen, und für knapp 2000 Euro Aufpreis gibt es zwei große Bildschirme am Dachhimmel, die den Voyager als rollendes Kino zum Freund der Hinterbänkler machen dürften.
Was dem Auto jedoch fehlt, sind moderne Assistenzsysteme. Zwar gibt es eine Überwachung des toten Winkels und einen Tempomat. Aber eine Abstandsregelung, ein Assistenzsystem zur Hilfe bei der Spurführung oder andere Finessen kann der Italo-Amerikaner nicht bieten.
Auch die Antriebstechnik wirkt gemessen an den europäischen Konkurrenten eher hausbacken. Zwar wird der 2,8 Liter große Dieselmotor mit 163 PS eigens für den europäischen Markt vom italienischen Zulieferer VM-Motori beigesteuert, und der 3,6 Liter große V6-Benziner ist ein relativ neuer Motor aus den USA. Doch den Trend zum Downsizing hat der Voyager bislang ebenso verpasst wie den hiesigen Hang zu Spritspartechniken wie etwa einer Start-Stopp-Automatik.
Der kraftvolle V6-Benzinmotor schluckt wie in alten Tagen
Bei der Testfahrt machte der Benziner, der zum gleichen Preis angeboten wird wie die Dieselversion und ebenso mit einer sechsstufigen Automatik kombiniert ist, denn auch nicht die beste Figur. Mit einer Leistung von 287 PS und 344 Nm Drehmoment ist genug Kraft vorhanden, um den Dampfer in Fahrt zu bringen; immerhin weist Lancia einen Sprintwert von 8,6 Sekunden und ein Spitzentempo von 209 km/h aus. Doch dreht der Motor ziemlich hoch, spielt sich damit akustisch in den Vordergrund und präsentiert an der Tankstelle die Quittung für seine Muskeln: Schon im Normzyklus schluckt der Sechszylinder 10,8 Liter, im Alltag dürften es locker zwei Liter mehr sein.
Geräumig, variabel, praktisch und preiswert. So wäre der Voyager eigentlich ein rund herum gelungenes Auto - wenn er nur kein Lancia wäre. Denn auch wenn die glorreichen Zeiten der Marke schon viele Jahre zurückliegen, sind ein paar Chromrahmen, einige Holzpaneelen und ein glänzender Kühlergrill zu wenig, um dem ursprünglichen US-Modell italienische Eleganz und Grandezza einzuhauchen. Aber irgendwann werden die Kinder ja groß und Papi kann wieder auf andere Autos umsatteln. Vielleicht lässt sich der gebrauchte Voyager dann ja gegen einen Traumwagen eintauschen - vorausgesetzt, man bezahlt ein bisschen dazu, denn der Wertverlust dürfte recht hoch ausfallen.