Fiat Freemont - für die, die alles wollenDeutsche mögen Italo-Western - n-tv.de, 23.03.2013
Die Entwicklung einer Großraum-Limousine hätte sich Fiat kaum leisten können. Wie gut, dass der Partner Chrysler so etwas schon hatte. Praxistest mit einem Siebensitzer, von dem viele deutsche Kunden voriges Jahr sagten: "gefällt mir".
Der englische Begriff "badge engineering" wird eher abfällig gebraucht, denn er steht für die Vermeidung einer eigenen, teuren Entwicklung, in dem man auf ein vorhandenes Produkt einfach das Label einer anderen Marke pappt. Deutsche Autokunden scheinen da nicht so empfindlich, denn im Falle des Fiat Freemont trieb das neue Markenlogo den vormaligen Dodge Journey in unerwartete Absatzhöhen. Nicht einmal 900 Neuzulassungen registrierte das Kraftfahrtbundesamt 2010 vom Dodge Journey, rund vier Mal so viele waren es für den Fiat im vergangenen Jahr.
Als Antrieb gibt es für das Auto einen Zweiliter-Dieselmotor. Wer den Freemont mit Frontantrieb haben möchte, kann zwischen 6-Gang-Handschaltung und einem Automatik-Getriebe mit ebenso vielen Fahrstufen wählen. Für die Allradvariante, wie in diesem Test, gibt es nur das Automatikgetriebe. Diese Kombination bedeutet 3500 Euro Mehrpreis und 60 Kilogramm Mehrgewicht. Der Vierzylinder-Selbstzünder leistet 170 PS.
Autos wie der Fiat Freemont werden für Menschen gemacht, die alles wollen. Um es auch zu bekommen, sind Kompromisse nötig. Sie wollen eigentlich einen Kombi, aber auch schön hoch sitzen wie im SUV. Ein Van sieht ihnen zu klobig aus, sie wollen aber auch mal die Freunde des Filius zum Auswärtsspiel shutteln können. Sie wollen einen gemütlichen Cruiser, aber auch den kräftigen Antritt, wenn die Führerschein-Neuling da vorne allzu vorsichtig fährt. Sie wollen in die großen Ferien reisen können, aber das Gepäck nicht vorausschicken müssen. Und sie wollen bei Schnee, nassem Laub und auf der Schotterpiste sichere Traktion, ohne gleich auf einen grobschlächtigen Offroader umsteigen zu müssen.
Sieben Sitze serienmäßig
Matschige Waldwege und verschneite Auffahrten meistert der Freemont AWD natürlich souverän, aber man sollte ihn nicht mit einem Geländewagen verwechseln. Dazu fehlt ihm nicht nur die erhöhte Bodenfreiheit, sondern auch eine Getriebeuntersetzung und Bergabfahrhilfe. Die elektronische Lamellenkupplung, die für das Zuschalten des Heckantriebs bei Traktionsverlust vorne sorgt, sitzt vor der Hinterachse. Maximal können 50 Prozent des Antriebsmoments an die Hinterachse geleitet werden.
Die Länge von 4,89 Metern und die Höhe inklusive Dachreling von 1,76 Metern machen den Freemont zu einem recht wuchtigen Kaliber. Sieben Sitze sind Standard, wobei die Plätze sechs und sieben flach im Ladeboden verschwinden, wenn sie nicht benötigt werden. Erfreulicher Wiese gehört der große Fiat nicht zu den Autos, für die man Verrenkungen in Kauf nehmen muss, um diese Sitze zu erreichen. Die Plätze der zweiten Reihe sind mit wenigen Handgriffen zu bewegen und der Einstieg nach ganz hinten ist nicht nur für Kinder ein Spiel. Allerdings rutscht die 2. Bank nicht automatisch in die Ausgangsposition zurück. Lediglich mit der Beinfreiheit hapert es etwas in Reihe drei, als Erwachsener sollte man sich besser nicht auf lange Fahrten dort einlassen.
Was bei US-amerikanischen Konstruktionen dieses Zuschnitts immer wieder positiv auffällt, ist die große Anzahl von Ablagen und Verstaumöglichkeiten. In Mittelkonsole und Türen lässt sich allerhand Kleinzeug unterbringen, unter dem Polster des Beifahrersitzes ist ein "Geheimfach" versteckt, im Boden vor der Rückbank befinden sich zwei verschließbare Wannen, die auf dem Weg zur Party je ein Sixpack nebst Eiswürfeln aufnehmen können. Die Ladehöhe ist mit 76 Zentimetern niedrig genug, um auch sperriges Gut durch die 112 Zentimeter breite Luke bugsieren zu können. Sehr praktisch ist die umklappbare Lehne des Beifahrersitzes, was die Mitnahme von langen Gütern aus dem Baumarkt erleichtert. Sieht man bei umgelegter zweiter Reihe den kompletten Laderaum vor sich, mag man kaum glauben, dass nicht mehr als 1461 Liter Volumen messbar sind. Ein Škoda Fabia Kombi hat da mehr zu bieten und der ist gut einen halben Meter kürzer.
Verzicht auf Schalter-Wirrwar
Dass Cockpit und Konsole klar und übersichtlich gestaltet sind, gefällt dem Fahrer. Keine Spur von der High-Tech vortäuschenden Tasten- und Schaltersammlung, mit der andere Hersteller die Bedienfelder überladen. Das liegt daran, dass viele Funktionen in dem Touchscreen-Kontrollsystem integriert sind, das bei der Lounge-Ausführung auch Navigations- und Media-Funktionen steuert. Der 8,4 Zoll große Bildschirm bietet dazu eine zentrale Menüleiste, deren einziges Manko es ist, dass man einige Male tippen muss, bis man zum Beispiel beim Schalter für die Sitzheizung angelangt ist. Dem von Garmin zugelieferten Navi-System muss man ankreiden, dass es der comic-haften Farbgebung der Kartengrafik an Klarheit fehlt und dem Seitenaufbau manchmal etwas an Tempo.
Dank seiner 350 Newtonmeter Drehmoment bringt der Zweiliter-Diesel die Zwei-Tonnen-Fuhre ausreichend in Schwung. Leider gehört dezente Laufkultur nicht zu seinen Stärken. Auch nach ausreichender Warmlaufphase erinnert er die Insassen mit rustikaler Geräuschkulisse stetig an das von Rudolf Diesel entwickelte Verbrennungssystem. Insbesondere wenn das Drehmoment-Maximum überschritten ist und der Tourenzähler in Richtung 3000er-Marke zuckt, vermittelt die Motorakustik vernehmbar, dass es nun bald genug sein müsse mit der Anstrengung. Da sind die gleich großen Vierzylinder aus bayerischer oder schwäbischer Fertigung eine Klasse besser. Ebenfalls aus Deutschland stammt bekanntlich eine hervorragende Achtgang-Automatik, die Fiat sogar für einzelne Jeep- und Lancia-Modelle adaptiert hat. Leider ist sie nicht für den Freemont geeignet, da sie für längs eingebaute Motoren entwickelt wurde.
Start-Stopp-System wünschenswert
So muss man mit der Sechsgang-Automatik Vorlieb nehmen, die zuweilen einen etwas eigenwilligen Schaltkomfort an den Tag legt. Die Gangwechsel sind nicht immer ruckelfrei (vor allem, wenn es an das Einlegen kürzerer Übersetzungen geht), der manuelle Eingriff über den zentralen Schalthebel bringt keine Besserung. Die Höchstgeschwindigkeit erreicht das Fahrzeug im fünften Gang, im Falle des Testwagens waren es GPS-gemessene 193 km/h. Das ist beachtlich für ein Auto, das laut Datenblatt bei 184 km/h am Ende seiner Möglichkeiten sein soll. Trotz gelegentlicher Ausflüge auf die linke Spur begnügte sich der Testwagen im Schnitt mit 8,4 Liter Kraftstoff je 100 Kilometer, was lediglich 1,1 Liter über dem Normwert liegt und somit recht sparsam ist. Mit Stopp-Start-Automatik könnten es noch ein paar Zehntel weniger sein.
Fahr- und Federungskomfort können sich sehen lassen, den Unwillen gegen Holper- und Kleiensteinpflaster kann jedoch selbst die Einzelradaufhängung vorn und hinten nicht kaschieren. In der Lounge-Version ist der Freemont komfortabel und umfangreich ausgestattet. Außer Lederpolstern und Rückfahrkamera sind auch Dreizonen-Klimaautomatik, Einparksensoren, Navi-System und CD-Wechsler an Bord, dazu ein SD-Kartenleser, USB-Buchse, Tempomat, Licht- und Regensensor, Nebelscheinwerfer und schlüsselloses Zugangssystem.
Fazit: Die gute Akzeptanz auf dem deutschen Markt kommt nicht von ungefähr. Der Italo-Amerikaner bietet hohen Nutzwert und eine umfangreiche Ausstattung. Weil er von allem ein bisschen sein will, nötigt er den Kunden auch Kompromisse ab. Dass die gerade im Antriebssektor liegen müssen, ist schade, aber nicht zu ändern. Für Familien ist er ein robuster und vielseitiger Begleiter, der dank Allradantrieb auch nicht kapitulieren muss, wenn er mal auf Abwege gerät.