„Wir sind besser als Audi, BMW und Lexus“ - handelsblatt.com, 09.03.2011
Es ist eine besondere amerikanisch-italienische Allianz: Unter der Marke Lancia will Fiat Autos von Chrysler in Europa vertreiben. Das Selbstbewusstsein ist groß - Lancia sieht sich auf Augenhöhe mit den Branchenbesten.
Dicke Luft bei Lancia. In dem Hinterzimmer in der oberen Etage des Genfer Messestandes hängt dichter Zigarettenrauch. Die Stimmung in dem kleinen Räumchen mit den schwarzen Wänden ist angespannt. Olivier Francois hantiert mit der weiß-goldenen Packung Marlboro Lights in seiner Hand, mit der anderen wischt er sich eine braune Haarsträhne aus dem Gesicht. Sein Gesichtsausdruck changiert irgendwo zwischen gequält und entnervt.
Wohl keinem anderen Manager auf dem gesamten Autosalon schlägt so viel Skepsis von Journalisten und Fachbesuchern entgegen wie ihm, dem Mann, der auf dem traditionellen Stelldichein der europäischen Autobranche erklären soll, wie man Autos von Chyrsler unter dem Logo der einst ruhmreichen italienischen Marke Lancia verkaufen kann – zum Beispiel den 300.
Die wuchtige Limousine steht draußen auf dem glänzenden Messestand. Fast fünf Meter lang, gut 1,88 Meter breit. Ein Riese von Automobil, wie geschaffen für große Highways und die tiefen Straßenschluchten New Yorks oder Chicagos. Mit Fenstern wie Schießscharten und dem dicken Chromkühlergrill hatte der Vorgänger schnell den Ruf des Gangsterautos weg. Wenn es ein Auto gab, indem Al Pacino in einer Neuverfilmung des Maffia-Films „der Pate“ vorfahren hätte können, dann im alten 300C. Für eine amerikanische „Limo“ kein schlechtes Image, für eine italienische hingegen schon.
Es sind Bilder wie das vom Chrysler 300C, die in den Köpfen vieler Messebesucher herumspuken, und die Neugeburt des 300 in Europa als Lancia Thema so schwierig machen. Auf der einen Seite amerikanische Coolness, auf der anderen italienische Grandezza. In Genf sieht das dann so aus: Der Messestand mit seinen dünnen Models in langen blauen Gewändern und den glitzernden Fassaden erinnert an die glamourösen Edelboutiquen von Aramani oder Dolce und Gabbana im goldenen Dreieck Mailands - während aus den Lautsprechern die swingende Stimme des kanadischen Jazz-Sängers Michael Bublé dröhnt. Chrysler und Lancia, Italien und USA, Turin und Detroit, kann das wirklich zusammen passen?
Klar, sagt Lancia-Chrysler-Chef Francois. “Bei Lancia ging es im Grunde immer um Design, Luxus und Raffinesse. Und in Amerika war Chrysler immer eine Marke, die für Design, Technologie und Charakter stand. Die DNA beider Marken ist sich also sehr ähnlich, sie ergänzen sich perfekt.” Das ist das Schnittmuster für die zukünftige Kooperation, die der amerikanischen Marke zusätzliche Stückzahlen in Europa, und Lancia lebensnotwendige neue Modelle bringen soll - damit die einst stolze italienische Premium-Marke überhaupt noch zu halten ist.
Laut dem europäischen Automobilverband Acea liegt der Marktanteil von Lancia mit nur noch drei Modellen im Portfolio innerhalb der Europäischen Union nur noch bei 0,7 Prozent, im Januar des Vorjahres war es immerhin noch ein Prozent gewesen. In Deutschland wurden zuletzt 87 Autos zugelassen - im Monat, und offiziell hat Lancia nur noch den Kompaktwagen Delta im Angebot. Eine Marke am Tiefpunkt. Das soll sich jetzt mit amerikanischer Hilfe ändern.
Neben dem 300, der als Lancia Thema auf den Markt kommen soll, stehen in Genf noch zwei Autos mit einem bekannten italienischen Namen: nämlich Flavia. In den 60er-Jahren hatte Lancia zuletzt Autos unter diesem Namen angeboten. Jahrzehnte später sollen ein Coupe und ein Cabrio des Chrysler 200 nun als Nachfolger der Flavia von einst in die Showrooms kommen. Flavia - wie sah der noch einmal aus? Lancia zeigt es in Genf. Auf einer großen Videoleinwand sind Bilder des von Antonio Fessia entwickelten Autos zu sehen. Bella Figura, immer noch, das Auto heute gemeinsam mit seinen amerikanischen Nachfolgern zu zeigen ist mutig - und alternativlos.
Das gilt auch für Francois. Nur eineinhalb Jahre hatte Chrysler für eine Überarbeitung des Modellprogramms. Für den Chrysler-Manager jetzt schon ein voller Erfolg, zum Beweis liest er Testberichte vom Schirm seines Blackberrys vor. CNN, Autoweek - ein Artikel nach dem anderen. Die Begeisterung der amerikanischen Kollegen ist groß, die Blicke der europäischen Kollegen, die Francois hier in Genf gegenübersitzen, immer noch ungläubig.
Francois legt nach: “Es sind brandneue Autos, und solange diese niemand gefahren hat, sollte man sie auch nicht kritisieren. Wer den neuen Lancia Thema fährt, wird sehen, dass es das beste Auto seines gesamten Segments ist.” Audi, BMW, Lexus, das ist die Konkurrenz, mit der sich Lancia in Europa und Chrysler in Amerika messen will. „Der 300 ist das beste Auto, das wir jemals in Amerika hergestellt haben. Und wir würden ihn nicht als Thema anbieten, wenn wir nicht der Meinung wären, dass das Auto nicht auch einen italienischen Look hat.“
Und Francois hat recht: Der erste Thema war kein originärer Italiener, sondern entstammte aus einer Zusammenarbeit mit Saab, Fiat und Alfa Romeo. Aber ob sich trotzdem Autofahrer überhaupt für einen Lancia entscheiden? Ist nicht auch der Vorgänger, die Limousine Thesis außerhalb Italiens grandios gescheitert? Francois antwortet mit einer Gegenfrage: “Wenn die Qualität, die Performance, die Technologie besser und unser Auto gleichzeitig auch noch billiger ist als die der Konkurrenz, warum sollten die Kunden es dann nicht in Erwägung ziehen?”
Das will Fiat nun herausfinden. Die Italiener wollen Synergien bei Chyrsler und Lancia heben. Chrysler soll sich um die großen Autos kümmern, Lancia um die kleinen - und für die Zukunft stehen auch Gemeinschaftsentwicklungen an. Vorher wird Lancia noch eine kleine amerikanische Auto-Ikone unter eigenem Label vermarkten: nämlich den Grand-Voyager, einen ausgewachsenen, ur-amerikanische Van. Immerhin: Mit dem Phedra hatte Lancia jahrelang auch einen großen Van im Angebot.
Aber selbst wenn Fahrzeuge wie dieses überzeugen sollten, gilt dies denn dann auch noch für die Marke Lancia selbst? Einen Autobauer, der vor allem von seiner ruhmreichen Vergangenheit und dem Kleinwagen Ypsilon lebt? Ob die Marke noch funktioniert, „wissen wir, wenn wir die neuen Autos haben“, sagt Francois. “Lancia ist eine gute Marke, für die wir bislang einfach nicht genug Modelle hatten.” Das soll sich bald ändern. Und was sagen die Händler? Diejenigen also, die ihr Geld in die neu aufgelegte Marke stecken sollen?
Die Verträge mit neuen Händlern sollen rechtzeitig zum Start der Marke im Juni unterschrieben sein. Das Händlernetz soll 40 Prozent größer sein als heute. Große Hoffnungen liegen auf der in Italien entwickelten Neuauflage des Kleinwagens Ypsilons, der im Schatten des massigen 300 fast zu verschwinden scheint. Doppelt so viel Autos will Lancia von dem Ypsilon verkaufen. Die Erwartungen in Detroit und Turin sind groß - der Unglauben in den Genfer Messehallen ist es auch. Aber so oder so: Lancia und Chrysler ist sicherlich die spannendste Unternehmensgeschichte dieser Automesse.