Ein Agnelli auf dem Rücksitz - ftd.de, 07.02.2011
Eigentlich wäre es John Elkanns Job, den Fiat-Chef zu kontrollieren - statt dessen fügt sich der Enkel des alten Patriarchen aber handzahm.
Zumindest ist er auffällig angezogen: John Elkann trägt einen ultramarinblauen Anzug, als er zum Messestand von Fiat und Chrysler schlendert. Trotzdem bemerkt kaum jemand den 34-jährigen Agnelli-Erben, der seit vergangenem April das Kontrollgremium des italienischen Autokonzerns führt. Alle Kameras sind auf Sergio Marchionne gerichtet, der sowohl Fiat als auch Chrysler führt. Elkann verzieht sich in eine Stuhlreihe und tippt verlegen in sein Handy.
Eine Szene wie die vom Januar war lange undenkbar. Ex-Verwaltungsratspräsident Luca di Montezemolo hatte stets darauf geachtet, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. Sein Nachfolger Elkann überlässt dagegen Marchionne das Feld. Zu dankbar ist er dem Mann, der Fiat vor der sicheren Pleite rettete und nun in die Partnerschaft mit Chrysler führt. Mächtiger als unter Elkann war Marchionne nie.
Dabei hätte gerade Marchionne einen starken Chefaufseher besonders nötig. Der ruppige Stil des Firmenchefs führt zu Problemen in Italien. Marchionne hat sich durch seinen Streit mit den Gewerkschaften vom einstigen Arbeiterfreund zum bösen Gesicht des italienischen Kapitalismus gewandelt. Italien wirft er vor, rückständig zu sein. "In Italien wird geredet, in den USA wird gehandelt", klagt Marchionne.
Dabei wäre in Italien eigentlich diplomatisches Verhalten angebracht: Das Land ist ein entscheidender Absatzmarkt. Ein Imageschaden dort ist das Letzte, was Fiat brauchen kann. In diesem Jahr soll das neue Modell des Verkaufsschlagers Panda kommen und Wettbewerber wie VW in die Schranken weisen, die Fiat zuletzt Marktanteile abgenommen haben.
Trotzdem attackiert Marchionne, der seine Jugend in Kanada verbracht hat, schonungslos seine italienische Heimat. Am Wochenende erreichte der Konfrontationskurs einen neuen Höhepunkt: In einer Rede in San Francisco erklärte der Manager, es sei denkbar, dass Fiat und Chrysler in zwei bis drei Jahren fusionierten. Den Firmensitz könne die Gesellschaft dann in den USA haben.
Das ist ein Schock für Italien. Politiker fürchten, dass Fiat abziehen könnte. Regierungschef Silvio Berlusconi bestellt den Fiat-Chef am Donnerstag zu sich ein. Er verlangt Klarheit über Marchionnes Pläne.
Dies könnte die Stunde Elkanns sein. Immerhin geht es auch um das Image des Agnelli-Clans. Doch Elkann unternimmt nur zögerliche Versuche, die Empörung zu besänftigen. Über den Turiner Bürgermeister Sergio Champarino lässt er ausrichten, dass noch nichts entschieden sei. Turin werde zumindest eines von mehreren Zentren des Konzerns bleiben. Als Zurückstufung der Fiat-Heimatstadt will er das nicht verstanden wissen. Elkann trägt die Strategie Marchionnes mit. Er verkörpert einen neuen Pragmatismus der Familie. Fiat ist für Elkann nur noch ein Investment unter vielen. Das zeigt sich auch daran, dass er das Familienvermögen abseits der traditionellen Autobranche investieren will: Die Investmentgesellschaft Exor, die 30 Prozent an Fiat hält und etwa auch den Fußballverein Juventus Turin kontrolliert, schaut sich nach Finanzdienstleistern und Immobiliengesellschaften als Investitionen um.
Und ob Elkann überhaupt dazu fähig wäre, Marchionne in die Schranken zu weisen, wird ernsthaft bezweifelt: "Er ist dafür zu schüchtern", sagt jemand, der die Familien- und Firmengeschichte gut kennt. Den impulsiven und selbstbewussten Marchionne zu bändigen, das falle ihm schwer.