Der große Umbau in der Lkw-Branche ftd.de, 12.01.2011
Die Krise ist passé, die Aussichten glänzend. Doch die Hersteller sind auf der Hut. Sie müssen fremde Märkte erobern, neue Techniken entwickeln und Bündnisse schließen. Eine Analyse.
Brasilien ist stark, frühere Außenseiter wie Indonesien kaufen mehr Trucks und sogar in Deutschland kommen die Geschäfte in Schwung: Nach der Pkw- erholt sich auch die Lkw-Branche von der weltweiten Wirtschaftskrise und dem Einbruch der Verkäufe von 2009. In den nächsten vier Jahren soll der Truck-Weltmarkt um mehr als 50 Prozent auf drei Millionen Einheiten wachsen, schätzt beispielsweise Marktführer Daimler.
Gleichzeitig prägen große Umwälzungen die Branche - die Neuordnung im VW -Reich ist eine der Folgen. Einerseits müssen Konzerne wie Weltmarktführer Daimler Kosten sparen und sich auf steigende Spritpreise einstellen. Anderseits müssen sie Schwellenländer erobern, in denen aufstrebende Billiganbieter aus China und Indien das Sagen haben.
Die Entwicklung sparsamer Hybridantriebe kostet Milliarden und ist eine schwere Last. Ähnlich wie in der Autobrache suchen die Hersteller darum nach neuen Partnern, um die Lasten der Entwicklung schultern zu können. Zudem deuten sich große Übernahmen an. Der italienische Hersteller Iveco etwa könnte mittelfristig in den Armen eines Konkurrenten landen.
Technik - große Herausforderung der Branche
Alle Lkw-Bauer versuchen, durch unterschiedliche Techniken Sprit zu sparen und somit den Schadstoffausstoß zu reduzieren. Bei den Fahrzeugen für den Fernverkehr setzt beispielsweise MAN vor allem auf aerodynamische Verbesserungen. Der Verbrauch könnte allein durch eine windschlüpfrige Formgebung um ein Viertel reduziert werden. Für den Stadtverkehr arbeiten die Hersteller an sogenannten Superkondensatoren. Das sind Stromspeicher, die Bremsenergie sammeln und beim Beschleunigen an Elektromotoren abgeben.
Um den Schadstoffausstoß zu reduzieren, haben die Lkw-Bauer bislang versucht, durch Katalysatoren Dieselabgase von gesundheitsgefährdenden Stickoxiden zu befreien. Wollte man diese Technik noch weiter verfeinern, stünden die Kosten in keinem Verhältnis mehr zum Nutzen.
Die Politik fordert per Gesetz ab 2012 eine weitere Reduzierung der Schadstoffe. Etwa die Hälfte der Kosten eines Motors, der die ab 2012 geltende Schadstoffklasse Euro 6 erfüllt, entfallen allein auf die Abgasreinigung.
Der stetig steigende Warenstrom zwingt auch die Verkehrsplaner und Logistiker zu neuen Überlegungen. Denn die Autobahnen, über die heute 72 Prozent aller Güter rollen, sind überlastet. Zudem steigt die Menge der zu transportierenden Waren in den nächsten fünf Jahren voraussichtlich deutlich. Immer wieder fordern deshalb Politiker und Experten, Lastwagen auf den Autobahnen eine eigene Spur einzuräumen und Autobahnen auszubauen.
Ein anderer Weg zur Verbesserung der Verkehrsströme sind so genannte Cargobeamer - eine moderne Form des Verladebahnhofs, der die Lkw-Fracht auf die Schiene verlagert. Der Fahrer koppelt dabei seinen Auflieger ab, danach funktioniert alles auf Knopfdruck. Die Seitenwände des Waggons klappen herunter, ein Stahlarm greift die Lkw-Fracht. Ab Entfernungen von 500 Kilometern rechnet sich der Transport per Schiene.
Schwellenländer - neue Märkte, neue Herausforderungen
In Ländern wie China, Indien oder Indonesien gelten ganz andere Erfolgsfaktoren als im industrialisierten Westen. Das beginnt bei der nachgefragten Technik, die sehr viel einfacher ausfallen kann als hierzulande. Nach Angaben von Daimler liegen die dort angebotenen neuen Lastwagen 30 bis 35 Jahre hinter dem Stand der Technik zurück.
Ein Beispiel dafür ist der in Deutschland nur noch als Oldtimer fahrende, legendäre "Rundhauben"-Lkw der Daimler-Reihe L322. Dessen erste Varianten wurden 1959 ausgeliefert und prägten das Straßenbild in Deutschland in den 60er- und 70er-Jahren, wo sie ab 1980 von neueren Modellen verdrängt wurden. Anders beim Export: Nach Südamerika, Afrika und Indien wurden die "Rundhauber" noch bis Mitte der 90er-Jahre geliefert, die letzte Modellvariante lief 1996 vom Band. In Afrika und Südamerika sind sie heute noch unterwegs.
Für die geringeren Ansprüche gibt es eine Vielzahl von Gründen: Neben niedrigeren Sicherheitsstandards brauchen die Spediteure in Ländern mit schlechterer Infrastruktur vor allem robuste und weniger wartungsaufwendige Lkws, die zudem deutlich weniger kosten dürfen als hierzulande üblich. In China liegt der Preis für einen schweren Lastwagen bei 35.000 Euro, in Europa kostet er im Schnitt 80.000 Euro. Die Brummis müssen weniger hohe Umweltauflagen erfüllen und dürfen in der Regel auch mehr verbrauchen, weil Treibstoff geringer besteuert wird und dadurch billiger ist.
Letztlich werden Lastkraftwagen in Schwellenländern deutlich länger gefahren als in Europa und im Zweifel immer wieder repariert. Das lohnt sich, weil die Arbeitskosten deutlich niedriger sind. Damit werden die Laufzeiten von Altfahrzeugen ausgereizt. Letztlich bedienen sich viele Spediteure in Südamerika, Afrika und Asien auf dem Markt für gebrauchte Nutzfahrzeuge. Sie sind nicht interessiert an Neufahrzeugen.
In Indien will Daimler beispielsweise künftig Lkws anbieten, die lange nicht den europäischen Ansprüchen genügen würden. Die Billigtrucks sollen aber nicht vollständig auf das Niveau des Subkontinents abspecken. Das Daimler-Modell soll beispielsweise normale Sitze haben. Indische Laster verfügen oft nur über Holzbänke mit Kissen.
Daimler - Angriff auf Fernost
Der Daimler-Konzern will seinen Titel als weltgrößter Lkw-Hersteller verteidigen. Die Konkurrenz aus Fernost holt mächtig auf. Anbieter aus China und Indien rückten in Folge der globalen Krise auf der Rangliste der größten Hersteller für mittlere und schwere Lkws sehr nah an den Marktführer heran. Die chinesische FAW-Gruppe liegt knapp hinter dem Stuttgarter Konzern auf Platz zwei, gefolgt von Dongfeng und dem indischen Anbieter Tata Motors. Der schwedische Volvo-Konzern fiel vom zweiten auf den sechsten Rang.
Das Engagement in den Schwellenländern erfordert von Qualitätsherstellern radikales Umdenken. In China und Indien nachgefragte Lkws seien weit weg von dem, was sein Konzern im Angebot habe, beklagte sich Daimlers Lkw-Chef Andreas Renschler vor ein paar Wochen.
In China schloss Daimler daher im vergangenen Jahr ein Gemeinschaftsunternehmen mit Beiqi Foton Motor. Die neuen Lkws sollen unter der Marke Auman vertrieben werden. Daimler soll dafür die Dieselantriebe liefern. Die Stuttgarter werden damit bei einem Jahresabsatz von etwa 80.000 Fahrzeugen zu einem der größten Anbieter Chinas. Einen Export von Auman-Lkw hält Renschler zunächst für nicht realistisch.
In Indien setzen die Stuttgarter auf einen Alleingang, nachdem sich der langjährige Partner Hero zurückzog. Renschler will dort in den kommenden fünf Jahren 700 Mio. Euro investieren und 2012 die Produktion in der neuen Fabrik aufnehmen.
Ein wichtiges Standbein von Daimler Trucks ist Mitsubishi Fuso. Die Deutschen halten an dem japanischen Hersteller knapp 90 Prozent, nachdem sie jetzt um weitere vier Prozent aufstockten. Umgerechnet 271 Mio. Euro war Daimler der Anteilszukauf wert.
Das Geld solle Fuso helfen, weiter zu expandieren, begründete das Management in Stuttgart seinen Entschluss. Die Zeit dafür sei richtig - schließlich erhole sich der globale Nutzfahrzeugmarkt nach der Wirtschaftskrise. Vorrangig sei nun eine nachhaltige Steigerung der Effizienz der in Kawasaki ansässigen Tochter Fuso, die 1932 gegründet wurde und zuletzt noch gut 14.000 Beschäftigte zählte.Fuso schrieb 2010 nach langer Durststrecke und Massenentlassungen erstmals wieder schwarze Zahlen. Der japanische Lkw- und Bushersteller ist auf kleinere Fahrzeuge für den Lieferverkehr sowie Hybrid-Antriebe spezialisiert und soll Daimler vor allem durch Exporte in die asiatischen Schwellenländern voranbringen.
Außer bei Fuso hatte Daimler Trucks in den vergangenen Jahren auch bei der US-Tochter Freightliner mit Problemen zu kämpfen, da der nordamerikanische Nutzfahrzeugmarkt schwer von der Wirtschafts- und Finanzkrise getroffen worden war.
MAN und Scania - Piechs Pläne
Volkswagen als größter Aktionär von Scania und MAN zwingt nach langem Zögern auch seine Beteiligungen zur Zusammenarbeit. Beide haben sich bisher wenig bemüht, enger zusammenzurücken. Die Wolfsburger treiben darum den Umbau des Lastwagengeschäfts voran, um endlich die erhofften Synergien in Milliardenhöhe zu erzielen.
Ende vergangenen Jahres berichtete der "Spiegel", der Wolfsburger Konzern wolle seinen direkten Anteil an Scania zunächst von 45 auf bis zu 80 Prozent erhöhen. Anschließend sollen die Schweden den deutschen Wettbewerber MAN komplett übernehmen. VW hält bislang knapp 30 Prozent am Hersteller aus Süddeutschland. Dieser Anteil würde Scania übertragen.
MAN bestätigte Gespräche über eine engere Kooperation mit Scania. Es sei aber noch keine Vorentscheidung gefallen. Auch Scania nahm Stellung: Bisherige Projekte beider Unternhemen hätten ergeben, dass "eine engere Kooperation durch Kombination beider Unternehmen" notwendig sei, um das volle Potenzial von Synergien zu realisieren.
Kommt es zu einer neuen Machtbalance bei den Lkw-Töchtern, ist Ärger programmiert. MAN und Scania bestehen auf Unabhängigkeit. Insidern zufolge will VW-Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch deshalb MAN-Chef Georg Pachta-Reyhofen sowie Scania-Boss Leif Östling in den Umbau einbinden. Ursprünglich sollte auch das VW-Geschäft mit leichten Nutzfahrzeugen in die Allianz eingebunden werden. Diese Pläne wurden aber offenbar verworfen.
Freche Italiener - Fiat mischt den Markt auf
Obwohl Fiat große Probleme hat, dass eigene Pkw-Geschäft wieder flott zu bekommen und die neue Tochter Chrysler integrieren muss, wollen die Italiener auch ihre Lkw-Sparte umbauen. Chef Sergio Marchionne kündigte an, dazu eventuell die Lastwagen-Beteiligungen von Volkswagen kaufen zu wollen. Wenn sich VW von seinen Anteilen an MAN und Scania trennen wollte, stünde Fiats Nutzfahrzeugsparte bereit, sagte er. Zuvor hatte VW monatelang um Fiats Edelmarke Alfa Romeo geworben, die die Italiener aber nicht abgeben wollen.
"Wir sind keine Verkäufer von Vermögenswerten, aber hier bei Fiat sind wir potenzielle Käufer - falls Volkswagen sich von seinem Lastwagengeschäft trennen möchte." Mit VW sei noch nicht über diese Frage gesprochen worden: "Aber ich bin mir sicher, dass das Thema in den nächsten zwölf Monaten bei einem Kaffee aufkommen wird", sagte Marchionne auf der Detroit Motorshow.
VW hält 71 Prozent der Stimmrechte und direkt 46 Prozent der Kapitalanteile am schwedischen Hersteller Scania und knapp 30 am deutschen Konkurrenten MAN. Der wiederum ist ebenfalls an Scania beteiligt. Fiat hat seine Iveco-Lastwagen samt Land- und Baumaschinen gerade unter dem Namen Fiat Industrial als eigenständiges Unternehmen an die Börse gebracht.
Ob Marchionnes Werben ernst gemeint oder nur eine Provokation ist, bleibt unklar. Sicher ist, dass VW eine Lkw-Allianz bilden will, um vom Kleinwagen bis zum großen Lastwagen alles anbieten zu können. "Unsere Pläne für die Zusammenarbeit zwischen Volkswagen, MAN und Scania sind klar", sagte Konzernchef Martin Winterkorn in Detroit. "Die Frage ist nur, wann und wie wir sie umsetzen."
Sicher ist auch, dass Iveco zu klein ist, um dauerhaft allein überleben zu können. Analysten und Experten vermuten, dass die Fiat-Tochter auf kurz oder lang in den Armen eines Konkurrenten landen wird. Vor einigen Monaten kamen deswegen schon Spekulationen auf, Daimler könnte ein Interesse an Iveco haben.
Der Hersteller baut vor allem kleine und mittelgroße Lkws und ist in Spanien, Italien und Brasilien stark. In anderen Märkten könnte Iveco Hilfe nötig haben. In China etwa steht der Hersteller noch in den Startlöchern und ist in wenig profitablen Joint-Ventures gebunden.
Experten bezweifeln, dass Fiat in der Lage ist, eine Verschmelzung Ivecos mit einem Konkurrenten zu organisieren oder gar eine Übernahme zu stemmen. "Fiat will den Spieß mal umdrehen und zeigen, dass der Konzern noch stark ist. Ein ernsthaftes Interesse halte ich aber für unrealistisch", sagte Auto-Experte Stefan Bratzel von der Fachhochschule Bergisch Gladbach FTD.de.