Ein Gentleman ohne Geduld - sueddeutsche.de, 26.11.2010
"Die Zeit der One-Man-Show ist vorbei:" Der beliebte Ferrari-Chef Luca Cordero di Montezemolo mischt sich offen in die Politik Italiens ein - mit scharfer Kritik an Premier Silvio Berlusconi. Er will Moral und Ethik im Land zurück.
Würde er als Politiker kandidieren, hätte er gute Chancen. 55 Prozent der befragten Italiener gaben jüngst in einer Umfrage zu den beliebtesten Führungsfiguren ein positives Urteil über Luca Cordero di Montezemolo ab. Damit lag er auf Platz zwei nach dem Staatspräsidenten, aber deutlich vor Premier Silvio Berlusconi
Doch in die Politik einsteigen, das will Montezemolo nicht, obwohl er seit Monaten danach gefragt wird. So oft, dass es ihm auf die Nerven geht. Der Ferrari-Chef nimmt allerdings Stellung zur aktuellen Politik, und zwar immer vernehmlicher. Ohne Berlusconi zu nennen, sprach er nun am Mittwoch in einer Rede unmissverständlich von ihm. "Die Zeit der One-Man-Show ist vorbei", sagte er. Italien sei blockiert, weil seit 15 Jahren keine Entscheidungen getroffen würden. Stattdessen gebe es "täglich fruchtlose Polemiken seitens einer Politik, die zu sehr um sich selbst kreist". Im Land müsse wieder ein Sinn für Moral und Ethik entstehen.
Wenn Montezemolo sagt: "Ich habe die Pflicht, etwas für Italien zu tun", versteht er das als Bürger-Engagement. Und er appelliert, es ihm gleichzutun. Um etwas in Gang zu setzen, hat er die Stiftung "Italia-Futura" gegründet, ein Forschungsinstitut für Zukunftsfragen, dessen einjähriges Bestehen nun gefeiert wurde. Lösungen für die kommenden fünf Jahre wollen sie dort erarbeiten. Länger im Voraus planen könne man heute nicht, sagt Montezemolo.
Dass er eine Menge kann, muss er keinem mehr beweisen. Bis 2006 war er auch Vorstandschef des exklusiven Autobauers in Maranello, der unter seiner Ägide wirtschaftlich aufgeblüht ist. Bis vor wenigen Monaten war er zudem Aufsichtsratschef von Fiat. Montezemolo gehört weiter diversen Aufsichtsräten an, darunter dem der Zeitung La Stampa oder von Firmen so bekannter Marken wie Campari. Bis 2008 war er Präsident des Unternehmerverbandes Confindustria. Drei Mal wählte ihn die Financial Times unter die wichtigsten Manager der Welt. Montezemolo ist außerdem an dem Konsortium NTV beteiligt, das ein privates Netz für Hochgeschwindigkeitszüge in Italien aufbaut.
Dass es ihm darum geht, seine mit Auszeichnungen geschmückte Karriere durch ein Regierungsamt zu krönen, diesen Eindruck vermittelt Montezemolo nicht. Wenn man mit ihm spricht, erlebt man einen Mann, der es nicht mehr mitansehen kann, wie Italien immer mehr Anschluss verliert an andere Länder. Wie es einer Regierung ausgesetzt ist, die nicht handelt, sondern nur verspricht und die Zeit damit verbringt, Lösungen für die Justiz-Probleme des Premiers zu suchen. Nun ist sie auch noch durch den Verlust der Mehrheit gelähmt.
Montezemolo wünscht eine Gesellschaft, in der nicht Beziehungen und Parteiausweise zählen, sondern Leistung und Fähigkeit. Das hat er in seiner Zeit als Student und junger Anwalt in den USA verinnerlicht.
Um die Jungen ging es nun bei dem Treffen von Italia-Futura: die hohe Jugendarbeitslosigkeit und den Exodus junger Akademiker, die keine Chance finden in einem verkrusteten System. Probleme, die kaum Widerhall finden in der Politik. Was es heißt, früh eine Chance zu bekommen, weiß Montezemolo.
Enzo Ferrari entdeckte ihn, da war Montezemolo ein junger Rennfahrer, der sich den Sport als Anwalt finanzierte. Ferrari holte ihn 1973 als Assistenten nach Maranello, mit 26 wurde Montezemolo Rennleiter. Fünf Weltmeistertitel holte Ferrari in seiner Zeit. Er setzt auf Teamarbeit, das hat er nun wieder betont: "Allein in die Politik zu gehen, bedeutet nichts, es braucht eine Mannschaft". Dem entspricht auch seine Philosophie als Manager. Bei Ferrari soll sich jeder verantwortlich fühlen für den Erfolg der Firma. Und wenn der erreicht ist oder die roten Boliden Siege einfahren, dann bekommt jeder in der Fabrik eine Prämie.
Als Ferrari nun am Weltmeistertitel vorbeifuhr, schrie die Lega Nord, Berlusconis Koalitionspartner, auf. Entbürokratisierungs-Minister Roberto Calderoli forderte Montezemolos Rücktritt bei Ferrari, er schade dem Land. Es waren Worte der Rache: Italia-Futura hat den Populisten der Lega vorgeworfen, sie seien mitverantwortlich dafür, dass Italien materiell und an bürgerlichem Anstand verarmt sei.
Auf die Attacke reagierte Montezemolo gelassen: "Wenn der Staatsmann Calderoli in seinem Leben ein Prozent von dem erreicht hat, was Ferrari für dieses Land in Sport und Industrie geleistet hat, dann wird er eine Antwort verdienen." Das mag arrogant klingen, aber das ist Montezemolo nicht. Dafür hat er viel zu gute Manieren, die er jedem zuteilwerden lässt.
Sein Stil ist der eines kultivierten Weltmanns. Weit entfernt von Berlusconis schlüpfrigen Witzen, seiner provinziell wirkenden Großspurigkeit und dem Faible für vulgäre Gesellschaft. Der Premier zürnt dem Gentleman Montezemolo. Umso mehr, als er ihn nicht abtun kann als einen der üblichen Kritiker von links. Mit seinen 63Jahren wäre der agile Montezemolo jung genug, in die Politik zu gehen. Dass er nun ankündigt, für Italia-Futura beginne eine neue Phase, wird viele hoffen lassen, dass er es sich doch noch überlegt.