Fiat lässt Chryslers Modelle sterben - handelsblatt.com, 27.10.2009
Die Dodge Viper ist Geschichte. Fiat-Chef Sergio Marchionne stellt die Produktion des amerikanischen Kult-Super-Sportwagens ein. Und nicht nur die. Marchionne streicht die Modellpalette von Chrysler, Dodge und Jeep radikal zusammen. Stattdessen will der Fiat-Chef mit italienischen Autos und Marken die Amerikaner aus der Krise führen. Alfa Romeo soll es richten.
HB MAILAND/DÜSSELDORF. Der Rettungsplan für Chrysler, den der Fiat-Vorstandsvorsitzende Sergio Marchionne am kommenden Mittwoch in Detroit vorstellen will, nimmt Formen an. Beim aus der Insolvenz hervorgegangenen US-Autobauer Chrysler soll nach dem Einstieg des italienischen Konkurrenten Fiat ein radikaler Umbau der Modellpalette die Wende bringen. Im Jahr 2011 soll nach einem Bericht des Wall Street Journal der Kleinwagen 500 in den USA auf den Markt kommen und 2012 sollen verschiedene Alfa Romeo-Modelle folgen. Es sei geplant, die Fahrzeuge künftig in den USA und Mexiko zu fertigen. Chryslers Marke Dodge wird dagegen die Produktion einzelner Modelle komplett streichen.
Fiat war vor vier Monaten bei Chrysler als Retter eingestiegen und hat mittelfristig die Option, die Mehrheit dem kriselnden Unternehmen zu übernehmen. Fiat-Chef Sergio Marchionne hat jedoch schon heute als Vorstandsvorsitzender von Chrysler das Sagen. Der Italo-Amerikaner ist als Turnaround-Spezialist bekannt und hat schon den totgesagten italienischen Autokonzern Fiat innerhalb von wenigen Jahren in die Gewinnzone zurückgebracht.
Fiat hatte sich Mitte der 90er Jahre vom US-Volumenmarkt zurückgezogen und dort nur noch Sportwagen wie Ferrari und Maserati angeboten. Nun arbeiteten die beiden Autobauer laut "WSJE" an neuen Fahrzeugen für den US-Markt. Als erstes solle 2012 ein Mittelklassewagen auf Fiat-Basis unter dem Chrysler-Label auf den Markt kommen.
Die Alfa Romeo-Modelle sollen komplett in Nordamerika produziert werden. Außer dem neuen Kleinwagen Mito soll der Mittelklasse-Wagen Alfa Milano und ein weiterer Mittelklassewagen in den USA gebaut werden. Auf Fiat-Plattformen soll Chrysler außerdem drei neue Modelle auf den Markt bringen: einen Mittelklassewagen, und einen Kleinwagen, die 2012 auf den Markt kommen sollen, und einen kleinen Jeep ein oder zwei Jahre später.
Drastisch scheint Marchionne bei der Marke Dodge durchzugreifen. Dort wird der Kompaktwagen Caliber komplett eingestellt, ebenso wie der Geländewagen Nitro und das Mittelklassemodell Avenger. Auch der für sein Retro-Design bekannte Chrysler PT Cruiser und die Jeep-Geländewagen Commander, Compass und Patriot sollen nach Informationen des Wall Street Journals mittelfristig nicht mehr angeboten werden.
Mit der neuen Strategie für Chrysler will Marchionne zwar weiter die Kunden aus der unteren Mittelschicht bedienen, aber gleichzeitig auch etwas anspruchsvollere Amerikaner für die europäischen Modelle erwärmen.
Fiat hat den Bericht nicht bestätigt. Doch auch in Italien werden die ersten Indiskretionen bekannt. Nach einem Bericht der Wirtschaftszeitung „Il Sole 24 Ore“ soll der Retro-Kleinwagen 500 in den Chrysler-Werken in Kanada produziert werden und nicht in Mexiko, wie das Wall Street Journal mit Hinweis auf mit der Situation vertraute Personen schreibt.
Bis der Umbau 2012 greife, liege aber eine Durststrecke vor dem staatlich gestützten Autobauer, schreibt das WSJE weiter. Im September war der US-Marktanteil von Chrysler von mehr als elf Prozent im Vorjahr auf gut acht Prozent geschrumpft.
Tatsächlich ist die Lage in Detroit offenbar weit dramatischer als gedacht. Nach Monaten intensiver Arbeit in der Detroiter Konzernzentrale fiel Marchionnes Urteil auf der Automesse IAA in Frankfurt ernüchternd aus: "Wir waren überrascht, wie wenig in den vergangenen 24 Monaten gemacht wurde."
Damit hatte der Fiat-Chef die ersten düsteren Gerüchte bestätigt, die seit Wochen von mit der Sanierung befassten Beratern und Fiat-Managern durchsickern. Demnach haben im Zuge all der Restrukturierungen, die Chrysler erst mit Daimler und dann mit Cerberus durchlaufen und durchlitten hat, Tausende von Ingenieuren und Entwicklern das Unternehmen verlassen. Konsequenz: Die dringend nötige Aktualisierung des Produktportfolios wird länger dauern als Marchionne sich das ursprünglich gedacht hat. Genau greift Marchionne nun umfangreich auf Fiat-Produkte für Chrysler zurück.
Wie schlecht es in diesem existenziellen Punkt um Chrysler bestellt ist, war auf der IAA ersichtlich. Dort stand steht einsam und verlassen nur eine einzige relevante Neuheit: nämlich ein stark nachgearbeiteter Dodge Caliber, dem der Mutterkonzern Chrysler in Zusammenarbeit mit Fiat einen aufgehübschten Innenraum und einen neuen Diesel-Motor verpasst haben. Das muss reichen. In Europa tut es dies aber nicht.