Der Koffer-Träger - spiegel.de, 05.05.07
Der Markt ist klein, doch auf das Geschäft verzichten mag Fiat nicht. Deshalb bieten die Italiener ihr neues Stufenheckmodell Linea auch in Deutschland an. Interessanter als das Auto ist seine Herkunft. Gebaut wird es in der Türkei - die als Auto-Nation nahezu unbekannt ist.
Mag sein, dass die meisten Westeuropäer für kompakte Stufenhecklimousinen nur ein müdes Lächeln übrig haben. Die oft als Altherren-Autos belächelten Viertürer kommen in der Kompakt-Klasse gerade einmal auf fünf Prozent Marktanteil. "Doch müssen wir aufpassen, dass wir diese Fahrzeuggattung nicht unterschätzen", warnt Fiat-Markenvorstand Luca de Meo und mahnt eine globale Perspektive an. In dieser nämlich werden die Mauerblümchen zu veritablen Bestsellern, die auf ein "Potenzial von weltweit 6,5 Millionen Kunden zielen".
Fiat Linea: Stufenheck aus der Türkei
An diesem Markt wollen die Italiener künftig noch mehr teilhaben. Nachdem sie mit Fahrzeugen wie dem Palio im Format des VW Polo schon bislang ein Weltauto im Programm hatten, das vielerorts auch mit Stufenheck verkauft wurde, bringen sie im Sommer mit dem Linea eine Klasse darüber einen weiteren Viertürer an den Start. Wurden solche Fahrzeuge bislang meist gar nicht erst in Deutschland angeboten, findet der Linea nun ganz offiziell seinen Weg hierher: Von 30. Juni an soll er zu Preisen ab etwa 13.000 Euro bei den deutschen Fiat-Händlern stehen und sich gegen Modelle wie den VW Jetta bewähren.
Dabei setzt Fiat neben einem Preisvorteil von "mindestens 20 Prozent" (de Meo) vor allem auf das Format des Autos. Denn obwohl der Wagen technisch auf dem Grande Punto basiert, zählt er zu den größten Typen im Segment, sagt Chefentwickler Harald Wester und verweist auf einen Radstand von 2,60 Metern und eine Gesamtlänge von 4,56 Metern. "Damit ist der Linea das einzige Auto dieser Klasse, in dem große Erwachsene vorne und hinten sitzen können. Und zwar zugleich", schwärmt der Ingenieur, dessen Leidenschaft dem überraschend elegant gezeichneten Heck gilt. Obwohl der Wagen von hinten beinahe zierlich wirkt, fasst das Gepäckabteil 500 Liter: "So passt in den Linea oft ein ganzer Koffer mehr als in die Konkurrenten."
Fahrzeugschein
Hersteller: Fiat
Typ: Linea
Karosserie: Limousine
Motor: Vierzylinder- Commonrail- Diesel
Hubraum: 1.248 ccm
Leistung: 90 PS
66 kW
Drehmoment: 200 Nm
Von 0 auf 100: 13,8 s
Höchstgeschw.: 170 km/h
Verbrauch (ECE): 4,9 Liter
CO2-Ausstoß: 129 g/km
Kraftstoff: Diesel
Kofferraum: 500 Liter
Preis: 14.000 EUR
Mit der Opulenz ist es allerdings beim Blick unter die Fronthaube vorbei. Nur der neue Turbomotor aus dem Bravo, der trotz schmalem 1,4-Liter Hubraum auf 120 PS kommt, lässt es ein wenig im Gasfuß kribbeln. Der normale Benziner dagegen wird - mit ebenfalls 1,4 Litern aber nur 77 PS und mit einem Sprintwert von 14,6 Sekunden sowie einem Spitzentempo von 165 km/h - kaum zum Pulsbeschleuniger. Und auch der serienmäßig gefilterte 1,3-Liter-Diesel entpuppt sich bei ersten Testfahrten als Spaßbremse: Obwohl der Linea nicht einmal 1,2 Tonnen wiegt, reichen 90 PS und 200 Nm kaum aus, um den Wagen halbwegs zügig durch den halsbrecherischen Stadtverkehr von Istanbul zu treiben. Bei Spurtzeiten von 13,8 Sekunden ist die nächste Ampel fast immer rot, und wann der Wagen die 170 km/h Endgeschwindigkeit erreicht, will man gar nicht genau wissen. Immerhin sind die Motoren sparsam: Der Benziner braucht im Schnitt 6,3 Liter und der Diesel 4,9 Liter.
Dass der Hoffnungsträger mit staatstragenden Reden und gleißendem Feuerwerk in Istanbul statt in Turin präsentiert wurde, hat gute Gründe. Zum einen ist der Marktanteil kompakter Limousinen in der Türkei mit mehr als 50 Prozent höher als überall sonst in Europa. Zum anderen wurde der Linea gemeinsam mit dem Partner Tofas in der Türkei entwickelt und wird auch dort produziert. Damit rücken die Italiener eine Automobil-Nation ins Rampenlicht, die sonst eher ein Schattendasein fristet.
Autoproduktion höher als in England oder Schweden
Zu Unrecht: Schließlich werden in der Türkei mittlerweile mehr Fahrzeuge gebaut als etwa in England oder Schweden - Tendenz steigend. So wies der Marktbeobachter CSM Automotive für 2001 noch eine Produktion von knapp 260.000 Autos aus. Doch in diesem Jahr werden die Türken die Millionengrenze knacken, und 2013 sollen 1,2 Millionen Fahrzeuge von den Bändern laufen. Den größten Anteil an der lokalen Fertigung haben Ford mit dem Transit, Fiat mit dem Doblo, Renault mit dem Clio und Toyota mit dem Corolla Verso, die allesamt auf 100.000 bis 155.000 Einheiten pro Jahr kommen.
SCHNELLCHECK FIAT LINEA
Einsteigen: ...weil die kleine Limousine überraschend gut aussieht, genügend Platz bietet und der Preis attraktiv ist.
Aussteigen: ...weil die schwächeren Motoren Spaßbremsen und die Sitzpolster viel zu weich sind; und es ESP gibt wohl nur gegen Aufpreis.
Umsteigen: ...aus kompakten Stufenhecklimousinen wie Dacia Logan, Mazda 3 oder Renault Mégane. Eher nicht aus dem VW Jetta.
Nur ein Bruchteil davon bleibt im Land. Denn der Fuhrpark der Türken zählt nach Angaben von Jato Dynamics nur acht Millionen Autos und ist im letzten Jahr um nicht einmal 400.000 Pkw gewachsen. Bei einem durchschnittlichen Neuwagenpreis von 21.882 Euro (zum Vergleich: Deutschland 25.237 Euro) wird der Markt nach Angaben des Istanbuler Büroleiters Onur Bolel von Kleinwagen dominiert. Bestseller in der Türkei ist der Renault Clio mit Stufenheck (30.000 Zulassungen) vor dem Renault Mégane und dem Toyota Corolla.
Es gibt aber auch Kunden mit anderen Vorlieben: "Ich kann kaum glauben, wie viele Porsche man in Istanbul sieht, obwohl sie hier doppelt so viel kosten", sagt Bonel. Auch Lamborghini und Bentley debütieren derzeit in der Türkei. Die Briten sind bereits da und haben eine Rekordmarke gesetzt. "Das sind die ersten Autos, die mehr als eine Million Türkische Lira, also etwa 550.000 Euro kosten", erläutert Bonel. Dem Erfolg schadet das nicht: "Schon im ersten Monat wurden fünf verkauft."