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schneemann

Suchtbolzen

  • »schneemann« ist der Autor dieses Themas

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Montag, 19. Februar 2007, 20:53

Das Wunder von Turin

Das Wunder von Turin - wiwo.de, 17.02.07

Innerhalb von zwei Jahren hat der Sergio Marchionne die angeschlagene Fiat-Autosparte wieder profitabel gemacht und nebenbei eine kleine Kulturrevolution im Konzern ausgelöst. Wie der Italo-Kanadier es geschafft hat, dass der italienische Traditionskonzern wieder Gewinne einfährt.

TURIN. Der Mann geht stets als Gewinner vom Platz - selbst wenn er mal verliert. Beim Romme-Spiel mit seinen Mitarbeitern zum Beispiel, mit dem er sich bei längeren Flügen gern die Zeit vertreibt. "Das ist für die meisten keine besonders entspannende Angelegenheit", erzählt einer seiner Mitspieler. Man hat stets den Eindruck, dass er ab und zu absichtlich verliere, um zu testen: Wie reagieren denn die Leute, wenn sie ihren Chef besiegt haben?

Ob er solche Niederlagen kalkuliert oder nicht, es ist stets dasselbe Gefühl, das Sergio Marchionne bei Mitarbeitern und Geschäftspartnern hinterlässt: Er lässt jedermann seine Überlegenheit spüren. Selbst bei einem Kartenspiel, in Situationen, in denen es um nichts geht, gibt er die Richtung und das Ergebnis vor. Er bestimmt, wer gewinnt und wer verliert, was richtig und was falsch ist. Das gilt erst recht, seitdem der 55-Jährige Italiens Industrie-Ikone Nummer eins gerettet hat: Fiat.

Zwei Jahre ist es her, dass der Italo-Kanadier die Führung der Autosparte mit den Marken Fiat, Lancia und Alfa übernommen hat - parallel zu seiner Arbeit als Vorstandsvorsitzender des Konzerns. In dieser Zeit hat er den finanziellen Kollaps abgewendet und die Autosparte wieder in die Gewinnzone gebracht. Zum ersten Mal seit 2000 schreibt der Bereich wieder schwarze Zahlen.

Der Marktanteil ist europaweit auf zuletzt knapp neun Prozent gestiegen. Und Marchionne ist der Held. Politiker, Medien und Investoren feiern den Mann mit den leicht zersausten, grauen Haaren und der Raucherstimme als Retter des zuvor bereits abgeschriebenen Nationalsymbols.

Ganz nebenbei hat er auch noch einen neuen Modestil geprägt - den "Marchionne-Style". Statt Anzug und Krawatte trägt der Fiat-Boss lieber einen Pullover über seinen Hemden. "Ich kann so besser arbeiten", sagt er. In einem Land, wo schon kleine Kinder lernen, eine "bella figura" zu machen und der Anzug aus feinem Zwirn ein Muss ist, grenzt ein Pullover an eine Revolution.

Doch Marchionne hat sich noch nie um Konventionen geschert. Und dies ist ein großer Teil seines Erfolgs bei Fiat, zu dem auch die LKW-Tochter Iveco und die Landmaschinen-Tochter CNH gehören. Im Sommer 2004 hat er den Posten an der Konzernspitze angetreten - eigentlich ein Schleudersitz. Vor ihm haben sich innerhalb von zwei Jahren vier Vorstandsvorsitzende die Klinke gereicht und vor allem die Autosparte hat Milliardenverluste eingefahren.

Keine acht Monate ließ er ins Land gehen, bis er den damaligen Autochef, den Österreicher Herbert Demel, im Februar 2005 vor die Tür setzte. Mit einer neuen Produktpalette, einer deutlich effizienteren Produktion und Entwicklung und internationalen Allianzen hat der neue Chef das Sorgenkind wieder profitabel gemacht.

Auch für sein Geschick in Verhandlungen mit General Motors erntete er viel Bewunderung. Der US-Konzern hatte ein Option auf den Kauf des Fiat-Autobereichs. Am Ende zahlte General Motors 1,5 Milliarden Dollar, um diese Möglichkeit nicht nutzen zu müssen.

Statt auf Allianzen mit Kapitalbeteiligung setzt Marchionne seitdem lieber auf so genannte "strategische Allianzen" für einzelne Modelle oder Autoteile. So baut Fiat beispielsweise einen Wagen auf einer Ford-Plattform. Die Italiener kooperieren auch mit der indischen Tata oder der chinesischen Saic.

In diesem Sommer will Marchionne nun seine wichtige Nebenrolle als Chef der Autosparte wieder abgeben. Der Nachfolger soll aus den eigenen Reihen kommen, wie der Vorstandsvorsitzende selbst erklärt hat.

Mit seinem Restrukturierungskurs hat Marchionne nicht nur die Investoren überzeugt - der Aktienkurs hat sich seit seinem Antritt fast verdreifacht. Auch bei den Arbeitnehmervertretern ist der Fiat-Chef durchaus angesehen. Und das liegt nicht nur daran, dass er durch seine Sanierung das Überleben des Konzerns und die Arbeitsplätze von mehr als 170 000 Menschen sichert. Es liegt auch daran, dass Marchionne bei seinem Turn-around die Arbeiter am Fließband weitgehend verschont hat - im Gegensatz zu der Managerriege in den höheren Etagen.

Marchionnes Aufräumarbeiten fielen außer Demel auch der ehemalige Alfa-Romeo-Chef Karl-Heinz Kalbfell und der Vertriebschef Johannes Wohlfarter zum Opfer. Der Fiat-Chef hat sich eine Generation von Managern herangezogen, die inoffiziell "Marchionne Boys" getauft wurden und ganz auf seiner Linie sind. Und die macht vor allem ein schnelles und konsequentes Vorgehen aus, ohne Rücksicht auf Verluste, auf Traditionen oder alte Verbindungen.

"Das größte Problem der Organisationen, in denen ich gearbeitet habe, war die exzessive Bürokratie. Und die Bürokratie schaffen sicherlich nicht die Arbeiter, sondern die weißen Kragen, die den gesamten Apparat beibehalten, um ihre eigene Existenz zu rechtfertigen", sagte der Sohn von Italienern, die nach Kanada ausgewandert sind, jüngst in einem seiner seltenen Interviews.

Als Marchionne bei Fiat ankam, hat er die ersten 40 Tage damit verbracht, sich die Fertigungsstätten anzuschauen. "Als ich Mirafiore das erste Mal gesehen habe, war ich schockiert", berichtet er. So könne man die Arbeiter doch nicht behandeln, empört er sich noch heute. "Ich will hier nicht den Linken spielen. Aber so einen Unterschied zwischen dem Ambiente, in dem ich lebe, und dem, in dem die Arbeiter leben, darf es nicht geben. Toiletten, Duschen, Umkleiden, Mensa - ein Desaster."

Er ließ daher die sanitären Anlagen erneuern, machte das firmeninterne Nobelrestaurant dicht und wird oft selbst in der modernisierten Kantine gesichtet.

Für den Chef eines italienischen Unternehmens sind das sehr ungewohnte Eigenschaften. "Marchionne passt als Manager nicht in die Schemata, die wir in Italien gewöhnt sind", sagt Guglielmo Epifani, Generalsekretär der Gewerkschaft CGIL. "Marchionne lässt einen seine Position nicht spüren." Er könne sein Gegenüber als ebenbürtig behandeln, wenn er dies wolle.

Lob gibt es auch von Fausto Bertinotti. Der Präsident der Abgeordnetenkammer gilt als Erzkommunist. Er nennt Sergio Marchionne einen "guten Kapitalisten".

Dabei schätzt der Fiat-Boss durchaus das ein oder andere Statussymbol eines Managers, die Geschwindigkeit seines 300 000 Euro teuren Ferraris zum Beispiel. Selbst bezahlt, wie er betont. Aber sonst pflegt er eher weniger mondäne Hobbys. Statt auf den Golfplatz oder die Segelyacht zieht es Marchionne eher in seinem Garten in der Schweiz oder zum Wandern in die Alpen. In Turin ist er eher in der Pizzeria anzutreffen als in den Edelrestaurants der feinen Gesellschaft.

So locker und bodenständig der angelsächsisch geprägte Manager auch daherkommt, er gilt dennoch als große Autorität. "Sergio den Großen" nennen ihn einige Fiat-Mitarbeiter. "Am besten kann man mit Marchionne umgehen, indem man ihn nie trifft", heißt es in den Fluren des Unternehmens. Denn Begegnungen mit dem großen Chef können unangenehm werden: "Er taucht auf einmal hinter einem auf und will wissen, woran man denn gerade arbeitet. Und als Nächstes fragt er dann: ,Und was machen Sie den Rest des Tages?'" berichtet ein Fiat-Mitarbeiter.

"Meritocracy", Leistungsgesellschaft, das ist das Lieblingswort von Marchionne. Ein Wort, das nicht nur auf Grund des Englischen lange ein Fremdwort bei Fiat war. Heute steigt auf, wer etwas bringt. Wer dagegen keine Leistung zeigt, muss gehen. Was nicht funktioniert, wird geändert. Das gilt für Produktionsprozesse ebenso wie für Allianzen und Personen.

Mitarbeiter berichten von sehr irritierenden Begebenheiten: Der Fiat-Chef bringe es fertig, den Ehefrauen seiner Mitarbeiter Blumen nach Hause zu schicken, weil deren Gatten am Wochenende arbeiten mussten. Und am selben Tag teilt er diesen Kollegen mit, dass sie das Unternehmen verlassen müssen.

Für Freundlichkeit ist der schnodderige Fiat-Chef eben nicht bekannt. Auch im Umgang mit Journalisten kennt er kein Pardon. "Sie haben mich doch auch schon vor Jahren totgeschrieben. Und wie Sie sehen, bin ich immer noch hier", raunzt er vor versammelter Mannschaft eine Journalistin an.

Im Gegensatz zu seinem harten Durchgreifen steht seine Liebe zur Musik. Marchionne kann ewig dar-über fachsimpeln, wie sich die verschiedenen Interpretation von Bachs Goldbergvariationen des Pianisten Glenn Gould unterscheiden. Seine musikalischen Vorlieben reichen von Keith Jarrett bis hin zu Maria Callas. Um ihre Stimme besser zu hören, soll er sich in China einen besonderen Verstärker gekauft haben.

Als er Ende vergangenen Jahres seinen Drei-Jahres-Plan für Fiat in Turin vorstellt, lässt er es sich nicht nehmen, Parallelen zwischen Musik und Fiat zu finden. Er philosophiert über afrikanische Musiker, die auf mündliche Überlieferungen setzen statt auf Noten, die auf Papier festgehalten werden. Für die Afrikaner sei die Vorstellung niedergeschriebener Musik absurd, da sie die Musik in ihrem Kopf und ihrem Herzen tragen. "Unser Ziel ist, die Menschen dahin zu bringen, die auf Papier festgehaltene Musik fallen zu lassen und die Unsicherheiten und Aufregung zu akzeptieren, die mit dem Wettbewerb einhergehen", erklärt er den eher verdutzt dreinschauenden Analysten.

Ob sie Marchionne folgen konnten? Als er seine Vorstellung mit dem Satz beendet "Let's go out and fight!" erntet er auf jeden Fall zwei Minuten langen Applaus - als hätte gerade ein Musikstar auf der Bühne gestanden